Engel im Schacht
einem Polizisten gehe oder mich hin und wieder mit anderen Polizisten unterhalte. Vielleicht ist ihm nicht in den Sinn gekommen, daß ich solche Verbindungen haben könnte.
Apropos: Habt ihr eigentlich die Mordwaffe gefunden, als ihr wie ein Wirbelwind durch mein Büro gefegt seid?«
»Nein. Dr. Vishnikov meint, es handle sich um einen stumpfen, glatten Gegenstand, zum Beispiel um einen Holzhammer, eine Stange oder eine Keule, aber jedenfalls nicht um ein rohes Stück Holz, weil keine Splitter in ihrem Gehirn waren. Es war jedenfalls nicht dein Computer, soviel ist sicher«, fügte er hinzu. Wahrscheinlich fand er das witzig.
Ich versuchte, es genauso zu sehen, und erinnerte ihn daran, daß seine Leute mir das Gerät am Morgen zurückbringen wollten. Er sagte, er würde einen Beamten beauftragen, den Computer gleich in der Früh wieder ins Pulteney zu transportieren. »Weißt du, Vic, ich glaube, die größten Chancen haben wir, wenn wir die Obdachlose wiederfinden«, meinte Terry abschließend. »Du hast doch gesagt, Deirdre hatte eindeutige Beweise dafür, daß sie wieder ins Pulteney zurück ist. Wenn das stimmt, wette ich meinen Kopf, daß sie gesehen hat, wer Deirdre umgebracht hat. Vorausgesetzt, sie war's nicht selber.«
Ich atmete tief durch, um ihn nicht anzubrüllen. »Terry, ich weiß, daß du in dem Fall unter unglaublichem Druck stehst. Schließlich sendet Channel 2 alle halbe Stunde die neuesten Sensationsmeldungen, und Kajmowicz schaut dir auf die Finger. Aber du bist ein ehrlicher Bulle und ein ehrlicher Mensch. Laß dir von dem Druck den Blick nicht trüben.«
»Bring mir Beweise, und ich glaube dir - aber bitte keine Berichte über Zettel, die existieren, vielleicht aber auch nicht. Und paß auf, daß du dir nicht durch deine Vorurteile den Blick auf die Realität verstellst, Vic. Tamar Hawkings war auch kein Engel, als sie mit ihren Kindern ihrem Mann weggerannt ist. Ich habe das heute überprüft. Sie ist zuerst in einem Obdachlosenheim untergekommen, hatte Auseinandersetzungen mit einer anderen Bewohnerin und mußte gehen. Sie ist mittlerweile seit vier Monaten auf der Straße. Selbst wenn sie am Anfang psychisch hundert Prozent stabil war, ist sie von dem Leben jetzt sicher gezeichnet. Und du hast selbst gemerkt, daß sie nicht der psychisch stabilste Mensch von Chicago ist. Sie könnte den Kopf verloren haben, als sie Ms. Messenger gesehen hat. Vielleicht hat sie gedacht, sie ist vom Krankenhaus und will ihr die Kinder wegnehmen.«
»Du hast recht, Terry. Aber ich weiß, daß Deirdre am Freitagabend jemanden erwartet hat. Irgendwie war sie ziemlich aufgekratzt.« Ich machte die Augen zu, versuchte, mir Deirdre noch einmal vorzustellen. »Sie hat geglaubt, daß sie jemanden auflaufen lassen kann; und ich denke, daß dieser Jemand Fabian war. Ich hatte den Eindruck, daß sie die Geschichte mit Tamar Hawkings bloß als Vorwand benutzt. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du das ernsthaft in deine Überlegungen mit einbeziehen könntest. Schließlich hast du nie persönlich mit Deirdre Messenger gesprochen.« »Stimmt, Vic. Klingt ganz so, als hätte ich was versäumt.«
Wir legten auf, solange es noch etwas zu lachen gab. Dann marschierte ich rastlos in meiner Wohnung hin und her. Es hatte Unmengen zu essen gegeben bei Camillas Fest: Teller voller Brathähnchenteile, fünf Sorten Kartoffelsalat, Berge frischer Salate, Kuchen und noch mal Kuchen. Obwohl ich mich zurückgehalten hatte, wurde mir bei dem Gedanken an etwas zu essen übel. Ich trank meinen Whisky aus und stierte die Papiere an, die sich auf meinem Wohnzimmertisch stapelten. Wenn ich wirklich daheim arbeiten wollte, mußte ich erst mal diese Unterlagen sortieren und aufräumen.
Ich überlegte, was passieren würde, wenn ich versuchte, Emily Messenger nach der Schule abzupassen. Hatte Fabian den Lehrern gesagt, sie sollten die Polizei rufen, wenn sie mich dort herumlungern sähen? Wie sonst sollte ich erfahren, wo Fabian sich am Freitagabend herumgetrieben hatte? Ich konnte mich natürlich mit den Nachbarn unterhalten, aber in einer Straße, in der die Villen sich auf den riesigen Grundstücken fast verlieren, ist die größte nachbarliche Tugend wohl die gegenseitige Nichtbeachtung.
Irgendwann merkte ich, daß ich einen Abend allein mit mir und meinen Gedanken an Conrad und Deirdre nicht ertragen würde. Also folgte ich meinem ersten Impuls und rief Lotty an. Sie begrüßte mich mit freundlicher Anteilnahme, die wie Balsam auf
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