Engel im Schacht
meine Seele wirkte.
»Ich habe über die Sache mit Deirdre gelesen und mich gefragt, wie du dich fühlst«, sagte sie. »Was sagt Conrad dazu?«
Nach meiner kurzen Schilderung der Vorkommnisse bekam ich endlich die erste mitfühlende Reaktion dieses Wochenendes. Lotty konnte gut verstehen, daß ich Deirdre in meinem Büro allein gelassen hatte. Sie hatte Deirdre jahrelang gekannt und wußte auch um die merkwürdige Kombination aus Anhänglichkeit und Arroganz, die den Umgang mit ihr so frustrierend machte.
Als ich merkte, daß sie ein offenes Ohr für mich hatte, erklärte ich ihr meine Sorge um Deirdres Tochter. Bei der Schilderung meiner Zusammentreffen mit Emily während der Party und am vergangenen Abend schnalzte Lotty mit der Zunge. »Also hatte Sal Barthele in bezug auf Deirdre recht. Allerdings weiß ich auch nicht, was du tun könntest, Vic. Du könntest höchstens versuchen, Deirdres Mutter ausfindig zu machen, und fragen, ob sie dem Mädchen helfen will.«
Das war ein guter, wenn auch mit großen Mühen verbundener Rat. Im Nachruf des Herald-Star wurden sicher die Hinterbliebenen erwähnt. Es war also nicht unmöglich, Emilys Großmutter aufzuspüren. Ich dankte Lotty in düsterer Stimmung und schwieg dann, weil ich nicht so recht wußte, wie ich das Gespräch beenden sollte. »Vielleicht möchtest du ja he ute abend noch bei mir vorbei schauen«, schlug Lotty mit forscher Stimme vor, als habe sie Angst, eine Abfuhr zu erhalten. »Oder ist Conrad da?«
»Conrad hat Nachtschicht. Ja, ich würde gern bei dir vorbeikommen. Heute abend vertrage ich das Alleinsein nicht sonderlich gut.« Als ich die Haustür abschloß, fühlte ich mich so ruhig wie schon seit Wochen nicht mehr.
Fuchs, du hast die Gans gestohlen
Ich verbrachte den Montag damit, meine Wohnung sauberzumachen, damit ich sie -wie ich hoffte - kurze Zeit als Büro nutzen konnte. Schon seit Wochen hatte ich die Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr geordnet, die jetzt überall im Wohnzimmer herumlagen. Ich steckte sie alle in Tüten und brachte sie zum nächsten Altpapiercontainer. Zwischen den Zeitschriften fand ich alte Rechnungen, unbeantwortete Briefe, Unterlagen aller Art. Mit zusammengebissenen Zähnen zahlte ich die Rechnungen, schrieb Briefe, polierte die Holzmöbel, wischte die Oberflächen aus Plastik oder Metall feucht ab, räumte Noten auf und wusch schließlich noch zwei Körbe voller Wäsche.
Nachdem ich einmal angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören: Ich schrubbte das Bad, sogar den Schimmel zwischen Wanne und Boden beseitigte ich. Auf dem Weg vom Altpapiercontainer nach Hause kaufte ich Lauge und machte den Ofen sauber. Als ich am Dienstagmorgen zwischen sauberen Laken aufwachte, schaute ich stirnrunzelnd hinauf zur Decke und fragte mich, was hier nicht stimmte. Die Spinne in ihrem Netz fehlte. Ich hatte mich so daran gewöhnt, jeden Tag den verschrumpelten Körper an dem zerfetzten Faden zu sehen, daß ihr Fehlen mich ganz durcheinanderbrachte.
Eine Weile lag ich so in meinem Bett und genoß dieses Gefühl der Sauberkeit. Ich kam mir vor wie damals als Kind, wie ich in meinem makellos reinen Nestchen lag. Doch ein paar Minuten vor acht störte Darraugh Graham diese Ruhe.
»Haben Sie schon was gefunden für MacKenzie?« fragte er mich, ohne mich zu begrüßen.
»Nein«, sagte ich, so verblüfft über seinen Anruf, daß ich die Wahrheit sagte. »Am Freitagabend ist eine Frau in meinem Büro ermordet worden. Das hat mich ein wenig von der Aufgabe abgelenkt, eine Beschäftigungstherapie für Ihren Sohn zu finden.« »Das verlange ich gar nicht von Ihnen. Mir wär's lieber, wenn Sie ihn einfach an eine gemeinnützige Einrichtung vermitteln, die ihn brauchen kann. Was er macht, ist egal. Ich hätte gar nichts dagegen, wenn er Toiletten schrubbt. Aber es muß schnell gehen.« Er klang fast wie Mitch, wenn er durch sein Bellen die Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte.
»Ich tue mein Bestes.« Es ärgerte mich, daß er mit seinem Managerhirn nur an seine eigenen Probleme denken konnte: Schließlich ist eine ermordete Frau ein bißchen schwerwiegender als Magenkrämpfe oder ein platter Reifen.
»Das würde mich freuen, Vic. Denn wenn Sie Ihr Bestes tun, sind Sie normalerweise ziemlich gut. Aber Sie neigen zur Sprunghaftigkeit, und danach steht mir der Sinn heute morgen überhaupt nicht.«
»Einen Augenblick, Darraugh. Lesen Sie denn auch mal was anderes als den Wirtschaftsteil der Zeitung? Deirdre Messenger ist am
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