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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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letztes Jahr war ich die Betroffene, und das war noch schlimmer. Willst du wirklich warten, bis es diesen Kindern so schlechtgeht, daß du sie mir zum Zusammenflicken bringen kannst?«
    Im orangefarbenen Schimmer der Natriumlampen sah ich die harten Linien in ihrem ausdrucksstarken Gesicht. Vor einem Jahr hatten ein paar Schläger Lotty mit mir verwechselt und ihr den Arm gebrochen. Ihr Zorn und mein schlechtes Gewissen hatten einen Keil in unsere Freundschaft getrieben, den wir erst nach Monaten harter Arbeit ein Stück herausgezogen hatten. Hin und wieder bricht die Wunde wieder auf. An jenem Abend war ich nicht in der Verfassung, mir schuldbewußt gegen die Brust zu schlagen. »Ich versuche, sie nicht zu verletzen und dich nicht in die Sache hineinzuziehen.« Dann schlug ich die Autotür hinter mir zu.

Der verlorene Sohn
    Ich kleidete mich sorgfältig für mein Treffen mit Darraugh Graham: mit einem schwarzen Wollrock, einer weißen Seidenbluse und meinen roten Magli-Pumps. Wenn man näher hinschaut, sieht man, daß das Leder schon ziemlich brüchig ist, so alt sind die Schuhe schon. Ich pflege sie nach Kräften mit Schuhcreme und Imprägniermitteln, neuen Sohlen und Absätzen, denn sie durch neue zu ersetzen, würde mich fast eine Monatsmiete kosten. Sie bringen mir Glück, diese Magli-Pumps. Vielleicht würde auch ein bißchen davon auf die Obdachlose in meinem Keller abfärben, wenn ich die Schuhe auf dem Weg in ihr Versteck trug.
    Bevor ich wegging, kramte ich noch ein paar alte Decken und Pullover aus dem Schrank. Mittags hatte ich sicher ein bißchen Zeit, um sie ihr vorbeizubringen. Es war erst zwanzig nach sieben, als ich die drei Stockwerke hinunterklapperte, so zeitig, daß ich die drei Häuserblocks von der Garage zu Grahams Büro nicht rennen mußte. Ich konnte es mir nicht leisten, mit heraushängender Zunge und wirrem Haar bei ihm anzukommen.
    Die beiden Hunde, um die mein Nachbar unter mir und ich mich gemeinsam kümmern, hörten meine Schritte und begannen zu bellen. Bis Mr. Contreras endlich an die Tür kam, war ich schon zum Haus hinaus. Ich rief noch schnell zurück, daß ich am Abend mit den Hunden Gassi gehen würde, dann sprang ich in meinen Wagen und fuhr los.
    Treffen mit Darraugh verlaufen im allgemeinen so trocken, daß ich das Gefühl habe, Kreide im Mund zu haben. Effiziente Untergebene und disziplinierte leitende Angestellte wurden hereingerufen, wenn es ihrer Sachkenntnis bedurfte, und sie verlasen ihre Berichte mit einer Ruhe, die einem Rolls-Royce-Getriebe alle Ehre gemacht hätte.
    Wenn man früh dran ist, bekommt man im Sitzungssaal Kaffee und Brötchen. Bei der Gelegenheit höre ich die Geschichten von den Kindern, die ins Basketballtraining gehen, oder die Probleme mit der Schneefräse. Um Punkt acht schneit dann Darraugh höchstpersönlich herein, und alles eitle Geplauder verstummt. Es hat schon Tage gegeben, an denen ich noch schnell hinter ihm auf meinen Platz schlüpfte, mir einen frostigen Blick einhandelte und die spitze Aufforderung, etwas zu sagen, wenn ich noch dabei war, meinen Mantel auszuziehen und meine Unterlagen auf dem Tisch abzulegen. Aber die Zeiten sind vorbei. Schließlich werde ich bald vierzig. Und außerdem kann ich es mir nicht leisten, gefeuert zu werden.
    Als Darraugh heute hereinmarschierte, hatte er einen ungepflegten jungen Mann im Schlepptau. Ich blinzelte. Selbst bei IBM hätte man in der absoluten Blütezeit nie so viele gestärkte Kragen und Nadelstreifen auf einen Haufen gesehen wie in Darraughs Sitzungszimmer. Jemand, der es wagte, mit einem Dreitagebart, schulterlangen Haaren, einem schmutzigen Sportsakko und Jeans zur Arbeit zu kommen, wäre sofort wieder in dem schwarzen Loch verschwunden, aus dem er gerade geschlüpft war. Ob der Typ wohl ein fehlgeleiteter junger Manager war, dessen Vertreibung aus dem Paradies wir nun alle persönlich beiwohnen durften?
    Darraugh stellte ihn nicht vor, aber ein paar Männer neben mir begrüßten den Jungen mit einem vorsichtigen: »Hallo, Ken, wie geht's?« Während der ganzen Sitzung schenkte Darraugh Ken so viel Beachtung wie einem leeren Stuhl. Der junge Mann förderte diesen Eindruck noch, indem er mit runden Schultern seine Gürtelschnalle anstarrte.
    Nachdem Darraugh uns über den Konsens der Gruppe informiert und seine Sekretärin versprochen hatte, daß wir die Protokolle bis zwei bekommen würden, hob Ken schließlich den Kopf und m achte Anstalten, aufzustehen.
    »Einen Augenblick«, bellte

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