Engel im Schacht
nicht. Jetzt wissen Sie also mit letzter Sicherheit, daß Ihr Papa und ich nichts miteinander haben. Beruhigt Sie das?«
Er kritzelte die Nummer auf eine Serviette und reichte sie mir. »Vielleicht verstellen Sie sich ja bloß.«
Ich lachte. »Aber tief in Ihrem Innersten wissen Sie, daß ich das nicht tue. Ich melde mich.«
Ich stapfte die Rolltreppe hinauf und spürte dabei das Metall durch die dünnen Sohlen meiner Pumps vibrieren. Im Foyer holte Ken mich ein. Mit gespielter Galanterie packte er meine linke Hand und drückte mir einen Kuß auf die Innenfläche. Dann flitzte er durch die Drehtür, bevor ich reagieren konnte.
Schwierige Verhandlungen
Inzwischen war es nach eins. Das hieß, daß ich noch zehn Minuten Zeit hatte, im Pulteney vorbeizuschauen, bevor ich mich am Nachmittag mit einer Frau traf, die sich als Risikofinancier betätigte. Hätte ich doch bloß einen Keks zu meinem Cappuccino gegessen: Jetzt schaffte ich es nicht mal mehr, ein Sandwich runterzuschlingen. Ich rannte die drei Stockwerke in den Keller des Pulteney-Gebäudes hinunter, konnte aber keine Spur von der Frau und ihren Kindern entdecken. Keine Fußabdrücke, kein Fetzen Butterbrotpapier - es war, als hätten sie nie existiert. Ich stellte die Tüte mit den Decken hinter einen Boiler und steckte einen Umschlag mit dem ganzen Bargeld, das ich entbehren konnte, dazu, dann raste ich über den Loop zu Phoebe Quirks Büro. Phoebe und ich kannten uns schon seit Jahren - seit unserer Studienzeit, wo wir zusammen in einer Gruppe gegen die Kriminalisierung der Abtreibung arbeiteten, aus der ich auch Lotty kannte. Ich konnte sie damals ganz gut leiden, aber eng befreundet waren wir nie: Sie stammte aus den wohlhabenden Vororten, wo die Kids abgerissene Jeans anzogen und sich subversiven Gruppen anschlossen, um es ihren Eltern zu zeigen. In den Winterferien, wenn ich mir als Kellnerin ein paar Dollar verdiente, schloß sie gerade lange genug Frieden mit ihren Eltern, um mit der ganzen Familie am Mont Blanc Ski zu fahren. Aber ihr Idealismus war echt: Nach einer wechselhaften beruflichen Laufbahn, in der sie nicht nur beim Friedenskorps gewesen war, sondern sich auch als Lehrerin an der High-School versucht hatte, war sie Neurologin geworden. Fünf Jahre lang war sie immer wieder mit dem Kopf gegen die unnachgiebige Wand der organisierten Medizin gerannt, bis sie dann eines Tages auf den Parkplatz des Lake Point Hospital fuhr, den Strom von Ärzten und Schwestern betrachtete, die ihren Autos entstiegen, umdrehte und wieder nach Hause fuhr.
Ein paar Monate später hatte sie sich einer kleinen Venture-Capital-Gesellschaft angeschlossen, Capital Concerns. Die Leute dort brauchten Phoebes Kontakte in der Welt der Medizin sowie ihr Know-how für die biotechnischen Ingangsetzungen, auf die sie sich spezialisiert hatten; natürlich hatten sie auch nichts gegen das Treuhandvermögen ihrer Großeltern. Phoebe gefielen die Aufregungen, die so eine Venture-Capital-Gesellschaft mit sich brachte. Sie bewies Talent, und Capital Concerns entsprach auch deshalb ihren Vorstellungen, weil das Unternehmen soziale Programme unterstützte.
Auf Anregung von Phoebe hatte sich Capital wegen Nachforschungen über einige ihrer möglichen zukünftigen Partner mit mir in Verbindung gesetzt. Im vergangenen Jahr war das Unternehmen zu einem meiner wichtigsten Kunden aufgestiegen. Beim heutigen Treffen ging es mehr um Projekte als um Kapital: Phoebe hatte sich bereit erklärt, einer von Conrads vier Schwestern, Camilla, bei der Gründung eines Handwer kerinnenkollektivs zu helfen.
Als ich in Phoebes Büro ankam, war Camilla bereits dort. Sie und Phoebe saßen lachend auf dem Sofa. Camilla trug ein schickes, figurbetonendes schwarzes Jerseykleid und sah nicht so aus, als hielte sie je etwas Schwereres als eine Nagelfeile in der Hand. Da hätte man eher Phoebe, die ihre teuren Kostüme heute so trug wie damals ihre abgerissenen Jeans, mit Schutzhelmen und Gerüsten in Verbindung gebracht. Sie hatte ein marineblaues Kostüm von Donna Karan an, an dessen Rock ein Knopf fehlte. Außerdem waren Kaffeeflecken auf ihrer Bluse.
»Komm rein, Vic. Camilla erzählt mir gerade von ihren ersten Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Wenn sie als einzige Frau in der Schicht arbeitete, haben die Männer Tampons an rostigen Eisenteilen gerieben und die Dinger ins Waschbecken im Klo gelegt. Was glaubst du wohl, warum alle erfolgreichen Frauen eine Toilettengeschichte
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