Engel mit Biss
viel“, musste ich zugeben. In Kunst war ich nicht sonderlich bewandert, da musste ich noch eine Menge lernen.
„Du wirst ihn noch kennen lernen, er ist einer von uns. Als er schon weit über hundert war, hat er dann eingesehen, dass er endlich mal seinen Tod vortäuschen musste. Die Leute wunderten sich sowieso schon, dass er immer noch so gut aussah, aber dank seiner Stellung traute sich keiner was zu sagen. Seitdem lebt er sehr zurückgezogen, das ist hier sein Haus“, erklärte Yago mir.
„Dann ist er also ein Umgewandelter?“
„Ja, er wurde umgewandelt von seiner Gefährtin, die ihn immer inspiriert hat“, sagte Yago. „Wen wundert dass“ sagte ich „bei eurem Aussehen kann man ja nur inspiriert werden.“ „Stimmt“, sagte eine Stimme hinter mir, erschrocken drehte ich mich um. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören, erkannte ihn aber gleich, er sah noch genauso aus wie auf dem Gemälde.
„Hallo Nora, Yago“, er reichte uns die Hand „ich freue mich das ihr mir die Ehre erweist, in meinem Haus zu logieren.“
„Die Ehre liegt ganz bei uns“, Yago verbeugte sich leicht, das hatte er noch nie bei einem Umgewandelten gemacht. Anscheinend respektierte er Tiziano sehr, er hatte auch eine unheimlich machtvolle Ausstrahlung.
„Euch zu Ehren habe ich heute Abend ein paar Freunde eingeladen, ich dachte eine kleine Feier wäre wohl angebracht“, lächelte er charmant.
„Ich hoffe die Zimmer sind zu eurer Zufriedenheit.“
„Ja danke, es ist alles wunderschön“, sagte ich.
„Vielleicht wollt ihr euch in Venedig erst mal ein bisschen umsehen, wir treffen uns dann heute Abend, Yago kennt sich ja aus.“
Damit entschwand er wieder genauso lautlos wie er gekommen war.
„Eine wirklich imposante Erscheinung“ sagte ich „er bewegt sich als würde er schweben.“ „Manche Vampire, die schon sehr alt sind, gewöhnen sich das an. Sie meinen, dass gehöre sich so, wenn man ein Vampir ist, etwas klischeehaft“, lächelte Yago nachsichtig.
„Wann ist er geboren?“
„1477, er ist schon 533 Jahre alt, aber er kommt in diesen modernen Zeiten nicht so gut klar, deshalb geht er kaum raus und unter Menschen.“
„Man merkt es, er wirkt wirklich wie einer dieser Vampire aus alten Romanen. Wie beschafft er sich Nahrung wenn er kaum rausgeht?“
„Denk mal an Adam, er lässt sich sein Essen auch kommen. Tiziano hat ja auch eine Gefährtin, die unterstützt ihn. Sie lockt die Leute hierher, und nach einem gemütlichen Plausch und einer Tasse Kaffee gehen sie wieder glücklich ihres Weges.“
„Ja, so kann man es natürlich auch machen, finde ich aber auf Dauer ziemlich langweilig“, musste ich zugeben.
„Vielleicht bist du in fünfhundert Jahren auch nicht mehr so ein Draufgänger“, neckte mich Yago.
„Komm, lass uns in die Stadt gehen, wie ich dich kenne, findest du bestimmt das eine oder das andere was du gerne kaufen möchtest.“
„Ja hier soll es ja so wunderbare Geschäfte geben und auf jeden Fall möchte ich Gondel fahren.“
Das taten wir auch gleich, denn der Palazzo lag direkt am Canale Grande. Wir fuhren mit der Gondel bis zum Markusplatz, der seit eintausend Jahren Zentrum der Stadt ist. Hier tummelten sich die Menschen in einem bunten Gewusel. Ich drängte mich eng an Yago, es überforderte mich ein wenig. Großes Gedränge konnte ich noch nie gut leiden. Yago legte den Arm fester um mich, als er merkte dass es mir unangenehm war, mich in so einer großen Menge zu bewegen, setzte er seine Fähigkeiten ein, um etwas Platz zu schaffen. Auf einmal merkte ich, wie jemand seine Hand in einer meiner Jackentaschen verschwinden ließ. Ein Taschendieb, dabei hatte ich gar nichts in der Tasche drin. Aber der Dieb rechnete nicht mit meiner blitzschnellen Reaktion. Ehe er sich versah hatte ich sein Handgelenk gepackt und umfasste es mit einem eisenharten Griff. Ich drehte mich um, und sah in ein paar dunkle, vor Angst geweitete Augen. Sie gehörten zu einem Jungen, der nicht älter als acht oder neun war. Seine braunen, lockigen Haare hingen ihm strubbelig im Gesicht. Seine Kleidung war alt und zerschlissen, und er trug keine Schuhe an seinen wirklich schmutzigen Füßen.
„Lassen Sie mich los Señora“ jammerte er „Sie tun mir weh.“
„Was wollte denn deine Hand in meiner Tasche“ fragte ich ihn auf Italienisch. Damit hatte er nicht gerechnet, er dachte wir wären Amerikaner.
„Ich wollte gar nichts, das war ein Versehen, weil die Leute hier alle so drängeln“,
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