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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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dort?«
    »Mach ich. Zwanzig Minuten?«
    »Zwanzig Minuten.«
    Beim zweiten Anruf im Immobilienbüro meldet sich eine Männerstimme. Oskar Neumann ist ganz und gar nicht erbaut über die Aussicht, die Räume von
Zöllner-Immobilien
von der Sylter Kriminalpolizei durchsuchen zu lassen. Aber seine Argumente kommen nicht gegen Sven Winterbergs Entschiedenheit an.
    »Sie haben die Wahl, Herr Neumann. Sie können uns freiwillig die relevanten Unterlagen zur Verfügung stellen, oder wir kommen mit einem Durchsuchungsbefehl. Wir haben einige Kollegen in der Truppe, die auf Ihre mangelnde Unterstützung durchaus mit besonderer Gründlichkeit reagieren könnten.«
    »Sie meinen, die nehmen mir dann den Laden auseinander.«
    »Genau. Und zwar gründlich, wie ich schon sagte.«
    »Also, kommen Sie vorbei. Sind Sie in Zivil oder in Uniform?«
    »Wenn wir gleich kommen dürfen, bleibt uns vielleicht keine Zeit, die Kollegen in den Uniformen mitzubringen.«
    »Okay. Dann beeilen Sie sich.«
    Als Sven Winterberg sein Büro verlässt, ist auf dem Korridor alles still. Die Ruhe nach dem Sturm, nennt er diese Phase der Ermittlungen insgeheim. Und jeder Kollege weiß, was das bedeutet. Alle Spuren sind ausgewertet. Die Hinweise strömen nicht mehr, sondern tröpfeln nur noch, in der Regel sind sie sogar kurz vorm Versiegen. Wenn jetzt nichts geschieht, dann ist der Fall so gut wie tot. Und die Beerdigung nicht mehr fern. Auflösung der Sonderkommission, letzter Bericht, Ablage der Akten im Kellerarchiv.
    Und in fünf Jahren findet ein Hundebesitzer vielleicht einen Haufen Mädchenknochen unter einer Krüppelkiefer am Waldrand. Oder auch nicht.
    Deprimiert steigt Winterberg die Treppe hinunter. Die Kollegen von der Schutzpolizei grüßen verhalten. Auch sie hat die Mutlosigkeit erfasst. Ohne ein weiteres Wort steuert Winterberg die Außentür an. Auf den Eingangsstufen kommt dem Kommissar ein Herr im Leinenjackett entgegen. Sein Gesicht unter dem Strohhut ist blass, und auf seiner Stirn steht der Schweiß. Sven Winterberg drängt sich an ihm vorbei. Als er das fremde Auto auf dem Polizeiparkplatz sieht, groß, schwer und teuer, ist sein erster Gedanke, dass das wieder einer ist, dem man das wertvolle Navi aus dem Cabrio gestohlen hat. Auch jetzt steht der Wagen offen auf dem Parkplatz. Ein geübter Kleinkrimineller braucht fünf Minuten für so einen Eingriff.
    Im nächsten Moment denkt Sven Winterberg gar nichts mehr, denn jetzt setzen sich die Eindrücke der vergangenen Sekunden zu einem Bild zusammen. Das offene Auto, der tief in die Stirn gezogene Strohhut. Eine Narbe darunter?
    Winterberg macht auf dem Absatz kehrt. Der Herr im Leinenjackett steht noch am Empfangstresen und wird gerade laut, um den zeitunglesenden Portier auf sich aufmerksam zu machen.
    »Ich weiß nicht, wie lange Sie mich hier noch warten lassen wollen, aber ich kann es Ihnen ja schon mal zurufen: In meinem Haus am Watt liegt ein toter Engel.«

Dienstag, 28. Juli, 13.33 Uhr,
Kampener Heide
    Zitternd sitzt sie in der Heide, weitab von jedem Spazierweg und gut verborgen in einer Senke. Ein wilder Apfelbaum spendet Schatten und schützt sie gleichzeitig vor fremden Blicken. Ihre Hände und ihre Kleidung sind voller Blut, das an ihrer Haut klebt und in alle Poren einzudringen scheint. Es trennt sie von der Welt, und vielleicht ist ihr darum so kalt, obwohl es doch auf der Insel seit Tagen heiß und stickig ist und die Luft über der Heide auch jetzt in der Mittagssonne zu flimmern scheint. Überhaupt, diese Sonne. Ein riesiger Ballon, der vom Himmel zu fallen droht. Er wird sie unter sich begraben wie ein weiches, aber tödliches Kissen, er wird ihren Körper matt und blass machen, ebenso matt und blass, wie es die Tote im Watthaus war, die sie in deren eigenem Blut zurückgelassen hat.
    Sie schließt die Augen und lehnt sich an den Stamm. Ihr Puls rast, ein irrer Druck scheint ihren Kopf von innen sprengen zu wollen. Nur zu, denkt sie, nur zu. Es ist ihr vollkommen egal, was mit ihrem Körper geschieht, die Hauptsache ist, dass sie hier sitzen bleiben kann und nicht reden muss. Eingeigelt in ihr kleines, jämmerliches Selbst. Zurückgeworfen auf dieses eine grässliche Bild, das sie ständig vor sich sieht. Die schreckstarren Augen und der zusammensackende Körper. Und über allem das Blut, das rot und viel zu schnell diesen sterbenden Körper verlässt, eilig, pulsierend, drängend, endgültig.

Dienstag, 28. Juli, 13.43 Uhr,
Lister Straße
    In gemächlichem

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