Engel sterben
ich erst in den nächsten Tagen, aber der Vertrag ist unter Dach und Fach. Habe ich gestern mit dem Eigentümer gemacht. Also sollten Sie beide schleunigst Ihre Kundenkartei durchforsten. Vor allem natürlich Sie, Oskar.«
»Und die Preisvorstellung?« Neumann sieht mit gerunzelter Stirn von seinen Notizen auf.
»Vier bis sechs, denke ich. Das hängt ein bisschen von der Entschlussfreudigkeit der Käufer ab. Ich hatte den Eindruck, dass es den Besitzer erleichtern würde, das Haus bald zu veräußern.«
»Kampen, Wattblick, 4 Schlaf, 3 Bäder, 4–6 Mio.«, malt Neumann mit fetten Buchstaben unter seine Notizen und stößt ein zufriedenes Pfeifen aus.
»Nicht schlecht für einen Gelegenheitsdeal.«
»Das ist kein Gelegenheitsdeal«, entfährt es Mona in scharfem Tonfall.
»Pardon. Ist mir rausgerutscht. Soll ich das Exposé machen, wie üblich?«
»Wahrscheinlich ist es in diesem Fall besser, ich setze mich selbst dran. Ich bin ja die Einzige, die in dem Haus war. Und leider sind bis jetzt noch keine Pläne in Sicht.«
»Aber wir haben doch immer die Grundrisse im Exposé, wollen Sie da wirklich eine Ausnahme machen?«, erkundigt sich Lucie irritiert.
»Natürlich nicht. Ich werde die Raumaufteilung aus der Erinnerung skizzieren. Und wenn wir die originalen Pläne haben, können wir das Exposé immer noch überarbeiten. Aber wir wissen doch alle drei, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Wir haben noch einen guten Monat bis Ende August. Wenn erst mal die Sturmsaison im Herbst beginnt, erwärmt sich niemand mehr so schnell für ein Haus auf der Insel. Dann fangen die Leute an, nach Chalets in der Schweiz zu suchen. Jedenfalls diejenigen, die bei dieser Immobilie als Käufer in Frage kommen. Hier geht es schließlich nicht um eine Zweizimmerwohnung in mittelprächtiger Lage.«
Der Seitenblick, mit dem Mona ihre Mitarbeiterin misst, ist sarkastischer, als sie es beabsichtigt hat. Die Zweizimmerwohnungen in mittlerer Lage sind Lucies Spezialgebiet, das sie seit ihrem Eintreten ins Geschäft mit Bienenfleiß beackert. Ihre Einzelprovisionen sind längst nicht so enorm wie bei Oskar oder bei Mona selbst, aber was den von Lucie verkauften Objekten an Qualität fehlt, macht sie seit einigen Monaten durch die Quantität der von ihr vermittelten Abschlüsse wieder wett. Die gebürtige Sylterin, die mit ihren langen blonden Haaren und ihren fröhlichen, unverstellten Kommentaren stets frisch und spontan wirkt, geht auf neue Kunden mit bemerkenswerter Offenheit zu und ist unschlagbar, wenn es gilt, zögernde Interessenten für die Insel zu begeistern.
»Okay. Gibt’s sonst noch was?«
Mona schickt ihren fragenden Worten einen ebensolchen Blick hinterher und wartet kurz. Als weder Lucie noch Oskar antworten, steht sie auf und geht zurück an ihren Schreibtisch, wo sie den Rechner hochfährt. Doch noch bevor sie das Zeichenprogramm überhaupt starten kann, wird die Bürotür von einem hochgewachsenen Herrn mit durchtrainiertem Oberkörper unterm Designerhemd aufgestoßen. Er ist keine vierzig Jahre alt, hat ein sehr markantes Gesicht und verfügt über eine raumgreifende Ausstrahlung. Sein Blick wandert in Sekundenschnelle über die Köpfe der drei Immobilienmakler, die sich ihm zuwenden. Mona spürt, wie dieser Blick auf ihrem Gesicht einen winzigen Moment länger verweilt, und wundert sich darum wenig, als der Kunde zielstrebig auf ihren Schreibtisch zugeht. Sie steht auf und streckt ihm ihre Hand entgegen.
»Guten Morgen. Mona Hofacker ist mein Name. Was kann ich für Sie tun?«
Eine kräftige, äußerst gepflegte Hand ergreift die der Maklerin und drückt sie kurz und fest.
»Björn Steingart, Hamburg. Sie sind die Chefin?«
»Ja.«
Monas Stimme ist höflich, aber abwartend. Was verbirgt sich hinter dieser Frage?
Steingart lacht auf.
»Keine Angst, war nur ein Test. Ist so eine Art Hobby von mir. Betrete einen Laden, gib dir nicht mehr als drei Sekunden Zeit und finde heraus, wer wirklich das Sagen hat.«
»In diesem Fall haben Sie den Test bestanden. Kaffee?«
»Gut gekontert, Frau Hofacker. Hofacker – war doch richtig, oder?«
»Goldrichtig. Kaffee?«
Mona kennt diese Sorte Menschen genau und lässt sich längst nicht mehr von ihnen beeindrucken. So wie dieser Björn Steingart benehmen sich nur Leute, die mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden sind. Leute, für die das Leben ein Spaß sein kann, wenn sie es nur wollen. Wer diese Menschen mit Unterwürfigkeit behandelt, hat schon
Weitere Kostenlose Bücher