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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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Was immer hier geschehen ist, es geht niemanden etwas an. Für wenige Sekunden ist sie selbst überrascht von ihrer Entschlossenheit. Doch es dauert nicht lange, bis ihr die eigene Motivation klarwird.
    Mit ein wenig Glück und viel Verhandlungsgeschick wird sie dieses Haus vielleicht schon bald an den wohlhabenden Björn Steingart verkaufen können. Wenn sie ihm im Preis etwas entgegenkommt, wird er einschlagen. Und sie wird sich nicht mehr lange mit dieser merkwürdigen Immobilie zu beschäftigen haben. Der Verkauf könnte ihre nächste Südseereise finanzieren und ein bescheidenes Aktienpaket noch dazu. Diese Aussicht ist allemal ein bisschen Aufregung wert. Und ein bisschen Engagement, das über das Übliche hinausgeht, auch.
    Auf ihrem Weg in den Erker hält sich Mona die Nase zu. Nur nicht klein beigeben. Was immer hier geschehen ist, sie wird es ungeschehen machen.
    Die beiden mittleren Erkerfenster lassen sich nur schwer öffnen, doch dann sickert die salzgesättigte Luft in den Raum und vertreibt den ekligen Geruch. Welche Erleichterung. Mona bleibt eine Weile am Fenster stehen. Nichts und niemand wird ihr diesen Deal verderben.
    Wie war noch gleich der Text, der ihr vorhin eingefallen ist? Sie sollte ihn sofort notieren oder besser noch in ihr Diktaphon sprechen. So ein Stimmungsbooster im Exposé ersetzt manchmal das halbe Verkaufsgespräch.
    »Öffnen Sie alle Fenster und lassen Sie den Seewind durch den großen Wohnraum streichen, riechen Sie das Salz, die Heide und den Schlick. Frühstücken Sie unter den Schreien der Möwen, beginnen Sie Ihren Abendspaziergang direkt vor der Haustür am menschenleeren Watt und träumen Sie an Sturmtagen vor dem Kaminfeuer, während draußen der Wind um Ihr eigenes solide gebautes Reetdachhaus fegt.«
    Während Mona die Sätze in das Gerät spricht, lässt sie ihre Augen durch die Dämmerung bis zum Wattenmeer wandern. Das Wasser liegt grau und bewegungslos wie erstarrtes Blei vor der Küste. Sogar die Möwen scheinen vor der schwülen Abendhitze kapituliert zu haben und aus dem Bild verschwunden zu sein. Aber die Nordseeluft lässt sich nicht vertreiben. Tief atmet Mona durch.
    Da ist er wieder, der Geruch nach Erbrochenem. Er muss aus der oberen Etage kommen.
    Auf der Treppe wird der Geruch stärker. Was, zum Teufel, ist hier passiert? Mona kontrolliert die Diele, dann die Schlafzimmer. Nichts, zum Glück. Alles scheint unverändert, nur die Käthe-Kruse-Puppen in dem doppelten Mädchenzimmer sind nicht zu sehen. Aber vielleicht hat Markus Rother sie in ein Regal oder einen Schrank geräumt. Doch das ist jetzt das geringste Problem. Zögernd öffnet Mona die Tür des ersten Bades. Alles scheint wie vor wenigen Tagen zu sein. Hier hat sich niemand erbrochen. Auch das Jungenbad ist unverändert. Aus dem dritten Badezimmer riecht es allerdings schon durch die Tür. Mona hält sich noch einmal die Nase zu und drückt mit der anderen Hand die Klinke hinunter.
    Vor dem mittleren der drei Waschbecken ist eine Lache am Boden. Eine halbgetrocknete grüngelbe Schicht, die durchsetzt ist mit orangefarbenen Teilen. Möhrenstückchen vermutlich. Mona wendet den Kopf ab, als sie daran vorbei zum Fenster geht. Doch der Gestank scheint selbst durch die zugehaltene Nase zu dringen. Die Sekunden, bis sie den Mechanismus mit nur einer Hand bewältigt hat, dehnen sich. Als sich das Fenster endlich öffnen lässt, hängt Mona den ganzen Oberkörper an die frische Luft.
    Warum tut sie sich das hier an? Wegen des Geldes natürlich, diese dumme Frage hat sie sich doch schon im Erdgeschoss beantwortet.
    Noch ein letzter tiefer Atemzug, dann dreht Mona sich um. In der Ecke steht ein Wischeimer, über dessen Rand ein hellgrünes Tuch gebreitet ist. Merkwürdig, den muss sie bei ihrem ersten Besuch übersehen haben. Hoffentlich hat Rother mit dem Strom auch das Wasser angestellt. Falls nicht, wird Mona eben Nordseewasser vom Watt holen müssen. Diese Schweinerei hier auf dem Boden kann sie auch der hartgesottensten Putzfrau nicht zumuten. Vorsichtig dreht Mona den erstbesten Hahn auf. Es gluckert kurz, dann schießt Wasser heraus.
    Warum hat Markus Rother das Erbrochene nicht selbst weggeputzt? Ist er von seinen Erinnerungen überwältigt zusammengebrochen? Musste er das Haus seiner Kindheit fluchtartig verlassen? Wer garantiert Mona, dass er nicht wieder zurückkommt? Und wenn schon, denkt sie. Irgendwann nutzt sich auch die intensivste Erinnerung ab.
    Tapfer macht Mona sich an die Arbeit. Sie

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