Engel sterben
denkt an das Geld. Sie denkt an die Südsee. Sie denkt an die Aktien. Dann sind alle Spuren beseitigt. Mona öffnet sämtliche Türen der oberen Etage und reißt alle Fenster auf. Es wird etwas dauern bei der herrschenden Windstille, aber sie wird schon dafür sorgen, dass sich dieser Geruch verliert.
Und morgen wird sie auch Markus Rother ans Telefon bekommen. Und ihm den Schlüssel abschwatzen. Und dann wird sie das Haus von oben bis unten putzen lassen. Sie weiß auch schon, von wem. Lidia hält auch Monas eigenes Apartment in Schuss. Die Polin ist schnell, verschwiegen und zuverlässig. Genau die Richtige für diesen Job.
Donnerstag, 23. Juli, 21.15 Uhr,
Möwengrund, List
Es beginnt zu dämmern, als Fred die Tür des baufälligen Gartenhauses hinter sich schließt. Sicherheitshalber hat er eine Taschenlampe eingesteckt. Am Haus seiner Vermieterin vorn auf dem Grundstück schaltet sich gerade flackernd die Außenbeleuchtung ein. Laternen auf der Terrasse und Spots unter den Ecken der Dachüberstände. Innen ist kein Licht zu sehen. Fred wird also ohne hochnotpeinliches Verhör zu dem Ziel seiner abendlichen Wanderung aufbrechen können. Wahrscheinlich ist Frau Manthey bei einer ihrer Bridge-Schwestern. Diese Treffen sind zeitaufwendig und durchaus likörselig. Wenn Freds Vermieterin dem Alkohol zuspricht, ist das natürlich etwas anderes als bei ihm. Allerdings muss Fred zugeben, dass die Manthey sich auch noch nie auf dem Bürgersteig direkt vor dem Eingang ihres Hauses übergeben hat.
Als nach wenigen hundert Metern die asphaltierte Straße endet und das Naturschutzgebiet mit den Wanderdünen beginnt, bleibt Fred stehen. Wo genau ist er gestern Abend langgelaufen, als das Mädchen verschwand? Hat er, wie sonst auch, den verbotenen Weg quer durch das Naturschutzgebiet genommen, oder ist er abgewichen? Die Gruppe der besorgten Erwachsenen begegnete ihm am Strand, so viel weiß er noch. Aber vorher? Wie ist er zum Strand gekommen? Was hat er gesehen oder gehört, bevor er auf die aufgeregten Eltern gestoßen ist?
Während Fred den flachen Zaun übersteigt und die ersten hundert Meter im Laufschritt zurücklegt, verflucht er nicht zum ersten Mal die Lücken in seiner Erinnerung. Diese leidigen Tribute an den Rausch. Grenzzölle, die bei jedem Eintritt in die schönere und leichtere Welt des Alkohols zu entrichten sind und die von einem raffgierigen Zöllner von Woche zu Woche höher angesetzt werden. Irgendwann werden Freds Kapazitäten erschöpft sein, er wird nicht mehr in kleiner Münze zahlen können und dem Zöllner alles geben müssen. Alles, was dann noch übrig sein wird an Hirn, Leib und Leben. Aber so weit ist es noch nicht. Noch kann Fred vielleicht aus seinen Erinnerungsresten Kapital schlagen.
Als er sich im Sichtschutz der ersten Dünenkette weiß, wird Fred langsamer. Wo würde er ein Mädchen verschwinden lassen, wo es verstecken, nachdem er es zum Mitkommen überredet hat?
Schon immer gab es Schleichwege zwischen den Dünen. Früher, als das Abweichen von den markierten Pisten noch nicht unter Strafe stand, kannte sie jeder. Jetzt werden sie nur noch selten benutzt, vorwiegend von Eingeweihten und vorwiegend nachts. Manchmal auch abends, wenn man allein sein will, beispielsweise zu zweit. Oder auch um ein peinliches Torkeln im Gang und vielleicht sogar den einen oder anderen Sturz auf einem alkoholseligen Abendspaziergang zu verbergen. Oder um ein Mädchen zu entführen.
Freds Gedanken bleiben an diesem Satz hängen wie ein Fetzen Stoff an einem baufälligen Zaun. Während des gesamten Weges durch das Naturschutzgebiet tanzen unerwünschte Bilder in seinem Hirn einen wilden Straßentango. Wehendes Dünengras und ein schlanker Mädchenkörper, der nackt im Sand liegt. Ein lasziv lächelnder Mund, der leicht geöffnet perlweiße Zähne blitzen lässt. Wie Fotos hat seine Erinnerung diese Bilder aus besseren Zeiten gespeichert.
Erst als Fred kurz vor dem Parkplatz am Weststrand das Naturschutzgebiet verlässt, die Straße überquert und auf den Weg zum Strand einbiegt, kann er sich von den lästigen Bildern losreißen. Doch nicht für lange, denn auch hier führt ein verbotener Pfad vom Weg ab.
Der Pfad beginnt auf halber Strecke zum Strand neben einer flachen Düne, und er führt schnell um eine weitaus höhere Düne herum, so dass man eine reelle Chance hat, allzu neugierigen Blicken zu entkommen. Fred sieht sich um, der Strandweg ist leer. Schnell steigt er über den niedrigen Zaun, der
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