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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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Pfähle in den Sand rund um die Kuhle zu rammen und sie mit Leinen und Heringen sturmfest zu machen.
    Die Regentropfen kommen jetzt schneller hintereinander, und die Befehle des Einsatzleiters werden immer drängender. Auch die Hunde lassen sich kaum beruhigen. Als schließlich die Plane an den Pfählen festgezurrt ist und tatsächlich die gesamte Kuhle überspannt, beginnt der Platzregen. Der Einsatzleiter gibt einigen Kollegen die Erlaubnis, den Sand zu betreten, um in der Kreismitte einen höheren Pfahl in die Erde zu rammen. Er soll der Plane eine zeltförmige Form geben und dadurch verhindern, dass die zu erwartenden Wassermassen die Plane losreißen und zu Boden drücken.
    Die an dem Einsatz beteiligten Polizisten stehen jetzt im Rund um die Sandkuhle herum. Ihre Gesichter sind notdürftig vor dem Regen geschützt, aber auf den Uniformrücken machen sich bereits große dunkle Flecken bemerkbar. Zwei Polizeifotografen knien am Rand der Kuhle und machen Aufnahmen von einigen besonders gut erhaltenen Schuhabdrücken, die bei der Aktion unbeschädigt geblieben sind. Ein weiterer Beamter misst Länge, Breite und Tiefe der Abdrücke und macht sich genaue Notizen. Die Hundeführer ziehen sich mit ihren Tieren hinter die nächste Düne zurück. Niemand weiß, ob sie später noch benötigt werden.
    Kreuzer hat sich bis zum Einsatzleiter vorgearbeitet.
    »Die Hunde haben die Geruchsspur aufgenommen?«
    »Hinten auf dem Parkplatz ist in einem der Wagen eine Kiste mit getragener Kleidung von Ann-Kathrin. Die Hunde hatten die Spur fast sofort. Sie sind wie die Wilden übers Gras und hierher zu der Kuhle.«
    »Was machen wir, wenn ihr die Fußspuren gesichert habt?«
    »Graben, was sonst.«
    »Meinst du, das Mädchen liegt hier?«
    »Ich will’s nicht hoffen. Die Eltern sitzen direkt auf dem Parkplatz mit einer Psychologin im Bulli. Sie wollten unbedingt dabei sein.«
    »Man hat die Hunde bis dorthin gehört.«
    »Dann können wir nur hoffen, dass die Psychologin ganze Arbeit leistet und sie im Wagen festhält.«
    Jetzt richten die beiden Fotografen sich auf und verstauen ihre Kameras. Gleichzeitig klappt der Kollege mit dem Maßband sein Notizheft zu. Schon haben einige der Polizisten Schaufeln in den Händen, die von zwei klitschnassen Beamten durch die Dünen getragen worden sind. Auch Kreuzer greift nach einer der Schaufeln. Warum sollte er herumstehen, wenn er helfen kann? Schließlich geht es darum, das, was die Hunde gewittert haben, möglichst schnell zu finden.
    Schrittweise und sehr vorsichtig nähern sich die Einsatzkräfte von außen der Kreismitte. Ihr Suchen ist weniger ein Graben als vielmehr ein Schieben und Umschichten des Sandes. Von oben trommelt ein starker Regen auf die Plane und lässt das Wasser in breiten Schwällen an ihrem Rand hinunterfließen. Die Plane war Rettung in letzter Minute, schießt es Kreuzer durch den Kopf, während er stoisch Sandschicht um Sandschicht abträgt. Alle wissen, dass sie auch bei diesem Vorgehen möglicherweise wichtige Spuren verwischen, aber gleichzeitig ist niemandem klar, welchen Verlauf der Sturm nehmen und wie lange die Plane halten wird. Der Kreis der Suchenden hat sich schon ziemlich zusammengezogen, als Kreuzer etwas Sperriges unter seiner Schaufel fühlt.
    »Scheiße«, entfährt es ihm. »Immer bin ich es, der die Arschkarte zieht.«
    Die Beamten links und rechts von ihm erstarren in ihren Bewegungen. Drei Augenpaare beobachten das vorsichtige Kratzen von Kreuzers Schaufel. Unter dem Sand schimmert es dunkel. Blut, ist Kreuzers erste Assoziation, aber dann sieht er, dass nichts bräunlich Rotes, sondern etwas Oranges zum Vorschein kommt. Der orangefarbene Stoff einer Mädchenshorts erscheint unter dem Sand. Alle Kollegen blicken jetzt zu ihm hinüber. Es fällt kein Wort. Sogar der Sturm scheint eine Pause eingelegt zu haben. In der lastenden Stille sind nur die knirschenden Schritte Leo Blums von der Spurensicherung zu hören, der gleich darauf mit seiner Plastiktüte vor dem Fund in die Knie geht. Behutsam befördert er das Kleidungsstück in den Beutel und will gerade wieder aufstehen, als er noch etwas entdeckt. Mit seiner Latexhand streicht er über den Sand, auf dem die Shorts gelegen hat. Weiße Linien zeichnen sich ab. Langsam entfernt der Suchende den Sand zwischen den Linien und legt ein helles Top frei. Es entspricht in jedem Detail der Beschreibung der Eltern.
    Etwas, das sich anhört wie ein kollektives Seufzen, geht durch die Schar der Männer.

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