Engel sterben
Stolz präsentiert die Polin einen Raum ohne Sand. Die Sofakissen sind aufgeschüttelt, die Beistelltische abgestaubt und die Märchenplatten in einem der Regale verstaut. Das Kreuzworträtsel ist vom Esstisch verschwunden, und im Kamin liegt frisches Feuerholz, daneben ein Paket Streichhölzer im Design der siebziger Jahre.
»Toll haben Sie das gemacht.«
»Ja. Danke. Oben ansehen?«
Niemand hat behauptet, dass Lidias Deutsch brillant wäre. Aber zur Verständigung über die entscheidenden Details ihres Jobs ist es ausreichend.
Auf der Treppe ins obere Geschoss überfällt Mona ein ungemütliches Gefühl. Fast, als habe sie etwas Unrechtes getan, indem sie das Haus Lidia überlassen hat. Die Erinnerung an Markus Rother, der die Feder auf der Treppe aufhebt und später singend vor den Käthe-Kruse-Puppen steht, will sich nicht verscheuchen lassen. Zielstrebig läuft Mona auf das gedoppelte Mädchenzimmer zu, obwohl es am Ende des Ganges liegt. Als sie an den Badezimmertüren vorbeikommt, ist ihr, als wehe sie wieder der Geruch nach Erbrochenem an. Monas Eintritt in das Mädchenzimmer gleicht einer Flucht.
Auch hier ist es ordentlicher als vorher. Kein Sand, keine herumliegenden Spielzeuge. Nur auf den Betten sitzen Puppen und Teddys. Die Käthe-Kruse-Puppen sind nicht darunter.
»Haben Sie auch Sachen in die Schränke geräumt?«, erkundigt sich Mona, wobei sie ihre Worte mit entsprechenden Gesten unterstreicht.
»Ja, ja.« Lidia nickt eifrig. »Viel Kleider. Alles Schränke.« Sie zeigt zur Erklärung auf ihre Hose, zupft an ihrem T-Shirt und öffnet eine Schranktür.
Mona kann sich nicht erinnern, dass auch Kleidung in den Zimmern gelegen hat, aber vielleicht ist ihr etwas entgangen. Doch die Puppen, wo sind die Puppen geblieben? Die Maklerin wirft nur einen flüchtigen Blick in das Innere des Schrankes. Sauber aufgestapelt liegen hier Unterwäsche, Hosen und T-Shirts.
»Sehr schön. Das haben Sie wirklich prima gemacht. Darf ich auch noch in die anderen Schränke sehen?«
»Ja. Natürlich.«
Lidia klingt ein wenig beleidigt, als fühle sie sich zu Unrecht kontrolliert. Mona weiß genau, dass sie in keinem dieser Schränke auf Unordnung stoßen wird. Aber es ist ihr zu kompliziert, der Polin die Sache mit den Puppen zu erklären. Zumal, wenn sie nicht auftauchen sollten. Und es sieht ganz danach aus. Für Sekundenbruchteile huscht das Bild eines Markus Rother durch Monas Hirn, der mit zwei Käthe-Kruse-Puppen in Kittelkleidern und ihrer nackten dritten Schwester in den Armen die Wattvilla verlässt.
Und wenn schon, versucht Mona sich zu beruhigen. Dass es sich bei den Puppen um emotional bedeutsame Erinnerungsstücke handeln muss, hat sie ja gesehen. Da wäre es doch verständlich, wenn der Eigentümer die Puppen an sich nähme. Energisch wendet sich Mona wieder der Putzfrau zu, die einigermaßen ratlos ihre unerwartete Inspektion beobachtet hat.
»Perfekt. Jetzt noch die Bäder.«
Bereitwillig eilt Lidia voran und öffnet alle drei Türen. Auch hier hat sie ganze Arbeit geleistet. Die alten Zahnbürsten sind ebenso verschwunden wie der eingedellte Fußball, die angeschimmelten Seidenschleifen und die roten Lackpantoffeln.
Mona deutet auf eine der Ecken. »Und die ganzen Sachen?«
»Müll.«
»Aber hier gibt es keine Mülltonne.«
»Nein. Nicht Mülltonne.« Lidia lacht, als habe ihre Chefin einen guten Witz gemacht. »Ich immer Müllsack im Auto. Viele. Sind jetzt unten. Garage.«
»Okay. Gute Idee. Ich nehme den Sack nachher mit.«
Jetzt lacht Lidia noch lauter.
»Nicht ein Sack. Fünf. Fünf Sack Müll.«
Vergnügt präsentiert sie die aufgefächerten Finger ihrer rechten Hand.
»Fünf Säcke voll? Respekt.«
Mona zieht ihr Portemonnaie aus der Tasche und legt auf die beiden Fünfziger, die Lidias Tageslohn ausmachen, noch einen Zwanziger drauf.
»Danke, Lidia. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.«
Freitag, 24. Juli, 17.32 Uhr,
Braderuper Heide
Wie immer schmerzt die Hüfte auf den letzten Treppenstufen besonders stark. Doch da ist schon die Bank, zum Glück. Karoline will sich gerade setzen, als sie die beiden Autos vor dem Watthaus sieht. Ihr Herz beginnt laut und unregelmäßig gegen ihren Brustkorb zu hämmern. Karoline zwingt sich, langsam und ruhig zu atmen.
Das eine Auto kennt sie schon. Es gehört der blonden Hexe. Das andere ist kleiner und nicht schwarz, sondern rot. Teufelsrot? Oder rosenrot? Vielleicht ist jemand gekommen, um die Hexe zu vertreiben.
Mit schnellen
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