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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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den Rand der Straße. Fast landet er im Graben, als der Porsche ihn rasend überholt. Dann dauert es nur Sekunden, in denen die Rücklichter immer kleiner werden, bis sie schließlich ganz verschwinden.
    Dieser Irre hatte mindestens zweihundert Sachen auf dem Tacho, überlegt Fred, und wenn er tagsüber auch so fährt, wird er es nicht mehr lange machen. So gerade diese Straße auch ist, gibt es doch einige heimtückische Stellen, an denen sich auch früher schon die Unfälle gehäuft haben.
    Unfälle?
    Unfälle.
    Genau, das ist es. Das fehlende Puzzleteilchen, der Schlüssel zu seinem Traum.
    Mit jedem Tritt in die Pedale wird Freds Erinnerung deutlicher. Die Kreise auf der Karte hätten besser Kreuze sein sollen. Kreuze am Straßenrand, die Unfallstellen markieren, an denen Menschen gestorben sind. Prominente Menschen, die den Stoff für wirklich tragische Geschichten abgegeben hätten.
    Für Geschichten, die ausrecherchiert, aber nie geschrieben worden sind.

Sonntag, 26. Juli, 23.04 Uhr,
Hauptstraße, Kampen
    »Für einen autofahrenden Polizisten trinkst du aber viel«, bemerkt Silja, als Bastian anstelle eines Desserts das dritte Glas Wein ordert.
    »Ist das ein Vorwurf oder eine Frage?«
    »Wenn ich mich entscheiden muss, dann ist es eine Frage.«
    »Ich bin nervös.«
    »Meinetwegen?«
    In gespieltem Erstaunen sieht Bastian sich um. »Sitzt sonst noch jemand am Tisch?«
    Silja lacht. Ihr gefällt Bastians direkte, unkomplizierte Art. Selten hat ein Abend in Gesellschaft sie so entspannt.
    »Also raus mit der Sprache: Warum bist du nervös?«
    »Geständnisse gibt es nicht ohne Gegenleistung. Ich mache den Anfang, aber dann bist du dran.«
    »Okay. Oder warte. Was genau willst du wissen?«
    Es fällt Silja schwer, die Angst aus ihrer Stimme zu verbannen.
    »Ich kenne jetzt die Geschichte deiner Radfahrverletzungen, ich weiß, wie sehr du als Kind den Sandmann im Fernsehen gefürchtet hast, und ich weiß, auf welchen Campingplätzen du als Neunzehnjährige gezeltet hast. Ich weiß sogar, welche Ausbilder du an der Polizeischule gehasst hast. Aber ich weiß nichts über deine Familie. Es ist wie ein Loch in deinen Erzählungen. Da, wo Eltern und Geschwister sein sollten, ist rein gar nichts. Nur Schweigen. Ein ziemlich lautes Schweigen, wenn du mich fragst.«
    »Du bist ganz zu Recht bei der Kripo, weißt du das?«
    »Na, das hoffe ich doch.«
    Bastian sieht Silja mit einem Blick an, der kein Entkommen zulässt. Aufmerksam, geduldig und abwartend. Sie fühlt sich zunächst sehr unwohl unter diesem Blick, doch nach einer Weile verändert sich das Gefühl. Es ist, als schmelze ein Panzer, als könnten sich ihre Gesichtszüge endlich entkrampfen, obwohl Silja sie doch gar nicht angespannt hatte, jedenfalls nicht bewusst. Sie holt tief Luft, und dann platzt es aus ihr heraus.
    »Weißt du was? Ich mache den Anfang. Du musst gar nichts erzählen. Du bist nervös, weil dies ein Date ist, das reibungsloser läuft, als wir es vermutlich beide erwartet haben. Das ist nicht schwer zu erraten, und du kannst jetzt widersprechen, wenn ich mich täusche.«
    Silja hält inne und blickt Bastian in die Augen. Er lächelt nur und blinzelt kurz. Rede weiter, ich höre dir zu.
    »Ich habe also recht. War ja nicht so schwer. Jetzt ich. Das ist schon weniger einfach. Aber es ist besser, wenn ich es erzähle, das ist mir im Lauf des Abends klargeworden. Auch ohne deinen Spürsinn übrigens.«
    »Und was genau ist dir klargeworden?«
    »Ich dürfte gar nicht an unserem Fall arbeiten.«
    »Stopp. Regelverstoß. Du weichst aus. Keine beruflichen Themen heute Abend. Das haben wir abgemacht.«
    »Jetzt sei still und lass mich reden. Du wirst gleich sehen, dass es um etwas anderes geht. Und dass du eine präzise Erklärung für deine Beobachtung bekommst. Präziser, als du es dir je hast wünschen können. Ich kenne nämlich all das, was die betroffenen Familien gerade durchmachen. Ich kenne es nur allzu gut. Ich habe es selbst erlebt.«
    »Du hast Kinder?«
    »Nein. Keinen Mann, keine Kinder, das weißt du doch. Aber als ich neunzehn war, ist meine kleine Schwester entführt worden. Sie war damals gerade elf und kam nicht zum Abendessen vom Spielplatz nach Hause. Wir haben eine ganze Nacht lang um sie gebangt. Am nächsten Morgen wurde sie gefunden. Tot.«
    Bastian Kreuzer sieht Silja Blanck einige Sekunden lang schweigend an. Dann fragt er leise: »Und missbraucht?«
    »Ja. Sie lag in einem Gebüsch am Ende des Ortes, ihr kleiner Körper

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