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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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schon aus der nächsten Kurve getragen. Die Insassen, drei junge Männer, deren gemeinsames Erbe sich locker auf mehrere Millionen belaufen hätte, sterben noch auf dem Transport ins Krankenhaus. Sie haben einen achtzehnten Geburtstag in einer Westerländer Disco gefeiert und etliches über den Durst getrunken. Ein weiterer Kreis auf der Karte.
    Und da war noch etwas an einer Kreuzung, überlegt Fred gerade, als er den großen Parkplatz am Strönwai erreicht. Obwohl es bald Mitternacht sein dürfte – ein Blick auf die Armbanduhr verbietet sich aus gleichgewichtstechnischen Gründen –, schlendern jede Menge Sommergäste über die Gehsteige. Und die meisten torkeln gehörig. Oder ist es er selbst, der schwankt?
    Fred biegt rechts ab und fährt langsam den Strönwai in Richtung der Dünen hinauf. Es ist jetzt eine Einbahnstraße, fällt ihm auf, früher war das anders. Doch die Karossen, die ihm entgegenkommen, sind so beeindruckend wie eh und je. Es ist unter ihrer Würde, sich um den Radfahrer zu kümmern, der die Verkehrsregeln missachtet. Nur die Fußgänger werfen ihm irritierte Blicke zu. Kein Wunder, so abgerissen wie er wirkt hier niemand. Die Herren tragen Markenjeans und Kaschmirpulli, die Damen führen ihre Designertaschen aus. Nur ganz hinten am Ende der Straße läuft ein Pärchen, das nicht ganz so aufgebrezelt ist. Im Näherkommen stutzt Fred Hübner plötzlich. Wenn das mal nicht der hünenhafte Kriminalkommissar ist, der diese süße Dunkelhaarige im Arm hält. Ein zweiter Blick verschafft Fred Klarheit. Kein Zweifel, genau der war es, der ihm letztens diesen morgendlichen Besuch abgestattet hat.
    Noch hat das Walross Fred nicht gesehen, und so soll es auch bleiben. Fred legt an Tempo zu, und als der Zivilbulle stehen bleibt und auch den zweiten Arm um die Schönheit an seiner Seite legt, entkommt Fred durch eine weitere Rechtskurve um den Eckladen mit dem Immobilienbüro. Ein Seitenblick auf die hell angestrahlten Fotos bringt ihn fast aus der Balance. Einzelne Exposés liegen wie Preziosen im Schaufenster. Es gibt sie immer noch, die Reichen und Schönen, die ein ganzes Vermögen für eine Hütte ausgeben können, in der sie sich nur wenige Tage im Jahr aufhalten werden, denkt Fred. Und dabei fällt ihm ein, dass auch er eine geschützte Bleibe für die Nacht braucht. Niemals wird er den Rückweg nach List bewältigen, jedenfalls nicht mehr in dieser Nacht. Schon spürt er einen leichten Schüttelfrost, ein untrügliches Zeichen für die körperliche Erschöpfung, die bald einsetzen wird. Wenig Schlaf und zu viel Alkohol waren noch nie eine gesundheitsfördernde Mischung. Und um Freds Kondition ist es auch nicht mehr so gut bestellt wie früher, als er solch eine Strecke mit dem Fahrrad als Frühsport abgehakt hat.
    Gerade hat Fred mit Müh und Not eine weitere Kurve bewältigt und befindet sich nun auf dem Rückweg zur großen Inselstraße. Aber wohin soll er sich jetzt wenden? Fred schaltet auf Autopilot, überquert die Hauptstraße und radelt wie von selbst hinüber auf die Wattseite ins alte Dorfzentrum. Hier hält er sich rechts, bis er das Grundstück erreicht hat, auf dem sich in seligen Zeiten das legendäre
Village
befunden hat, die damals angesagteste Location für die Stunden nach Mitternacht. Obwohl die alte Hütte längst einer Nobelherberge hat weichen müssen, läuft jetzt ein neuer Film an, diesmal ist er mehr nach Freds Geschmack, bevölkern ihn doch ausnahmslos junge schöne Frauen anstelle von sterbenden Autofahrern.
    Fred bremst und steigt vom Rad, das sofort umfällt. Er lässt es liegen, gilt es doch, den schönen Blondinen näher zu kommen, die ihn so oft zu später Stunde aus dem rauchigen Inneren der Szenedisco begleitet haben, hinaus in die warme Sommernacht und meist direkt hinein in sein ungemachtes Bett. Wie von selbst finden Freds Füße den Weg zu dem alten Friesenhaus an der Ponyweide, in dem er während der goldenen Zeiten gewohnt hat.
    Doch das Haus ist weg. An seiner Stelle befindet sich eine Brache mit einem Betonrohbau. Graue Mauern, breit und nicht sehr hoch, teilen die Nacht. Durch die leeren Fensteröffnungen sind die Häuser hinter und neben dem Grundstück zu erahnen. Jetzt geht in einem von ihnen das Licht an und strahlt hinüber bis in den Rohbau.
    Fred nimmt es als Zeichen. Ein gnädiger Gott leuchtet ihm den Weg. Hier am Ort seiner früheren erotischen Triumphe wird er sich zur Ruhe legen. Mit wenigen schwankenden Schritten bewältigt er die

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