Engel sterben
Vielleicht ist aber auch alles ganz anders. Bastian Kreuzer flucht leise.
Leo Blum, der zwei Schritte hinter ihm wartet, interpretiert den Fluch falsch. »Keine Bange, die kommt schon. Eben hat sich die Gardine am Küchenfenster bewegt.«
Als laut schimpfend eine ältere Dame an der Haustür erscheint, deutet Kreuzer eine leichte Verbeugung an.
»Guten Morgen, Frau Manthey. Bastian Kreuzer ist mein Name. Von der Kriminalpolizei Westerland. Verzeihen Sie bitte die Störung, aber mein Kollege Herr Blum und ich haben ein dringendes Anliegen und brauchen Ihre Hilfe.«
Mit wenigen Blicken aus ihren faltenumkränzten Augen erfasst Gisela Manthey die Situation.
»Was hat er jetzt wieder angestellt, mein feiner Untermieter?«
»Das wollen wir gerade herausfinden. Und dazu würden wir uns gern ein wenig in Fred Hübners gepflegtem Heim umsehen.«
»Gepflegt. Machen Sie Witze? Ich muss schon dankbar sein, wenn er die Miete mit dreimonatiger Verspätung zahlt und sich nicht in der Zwischenzeit die eigene Bleibe über dem Kopf anzündet. Oder Ähnliches.«
»Frau Manthey, wir haben hier einen Durchsuchungsbefehl für das Haus hinten auf Ihrem Grundstück, in dem Fred Hübner polizeilich gemeldet ist. Wenn Sie mal schauen wollen. Nur damit alles seine Ordnung hat.«
»Stecken Sie das weg, ich glaube Ihnen auch so. Es kann gar nichts schaden, wenn die Polizei mal bei diesem Hübner nach dem Rechten sieht.«
»Sie halten nicht viel von Ihrem Untermieter?«
»Na ja, der Mann war ja mal berühmt. Journalist, eher wohl so eine Art Skandalreporter, er hat aber auch für den
Spiegel
geschrieben. Als er sich bei mir einmietete, konnte ich ja nicht ahnen, dass er so verkommen würde. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie er sich gehenlässt …«
»Vielleicht wollen Sie es uns kurz beschreiben.«
»Kommen Sie doch rein.«
»Danke, aber wir müssen ja noch nach hinten. Trotzdem wären wir Ihnen für eine kurze Einschätzung dankbar.«
»Was hat der Hübner denn ausgefressen?«
»Dazu würde ich mich jetzt ungern äußern.«
»Na gut. Schweigepflicht, das kann ich schon verstehen. Auch wenn ich natürlich ein bisschen neugierig bin. – Was wollten Sie noch mal von mir wissen?«
»Beschreiben Sie uns Ihren Untermieter einfach kurz. Wie regelmäßig ist er zu Hause, hat es in den letzten Tagen Besonderheiten in seinem Verhalten gegeben, hat sich sein Lebensrhythmus irgendwie verändert?«
»Tja, das kann ich nicht so genau sagen. Wissen Sie, ich glaube, er geht mir lieber aus dem Weg. Wir treffen uns fast nie vor dem Haus. Auch nicht hinten auf dem Grundstück. Aber ich sehe oft, dass bei dem Hübner das Licht ausgeht und er rauskommt, wenn ich gerade nach Hause gekommen bin.«
»Und hat er manchmal auch Besuch?«
»Frauen, meinen Sie?«
»Nicht unbedingt.«
»Also, ich habe niemanden gesehen. Seit Jahren nicht. Keine Frauen, keine Männer, keine Kinder. Wobei es darum ja wahrscheinlich sowieso nicht geht.«
Es entsteht eine merkwürdige Pause in der Unterhaltung. Irritiert blickt Gisela Manthey von Bastian Kreuzer zu Leo Blum und wieder zurück. Dann begreift sie.
»Sie meinen, er hat etwas mit den entführten Mädchen zu tun?«
»Wir meinen gar nichts. Aber wir ermitteln auf sehr breiter Basis, das werden Sie verstehen. Und es kann sein, dass Herr Hübner uns auf eine wichtige Spur bringen kann. Oder irgendetwas, was wir bei ihm finden. Aber da habe ich Ihnen schon mehr verraten, als ich darf.«
»Sie können unbedingt auf meine Verschwiegenheit zählen, Herr Kommissar.«
Flink wandern die Augen der alten Dame zu den Eingangstüren der gegenüberliegenden Häuser. Zwei stehen schon einen Spaltbreit offen. Kein Wunder, schließlich parkt nicht jeden Tag ein Einsatzfahrzeug der Polizei in dieser ruhigen Wohnstraße.
Gisela Manthey sieht dem Kriminalbeamten vertrauensvoll in die Augen, als könne sie kein Wässerchen trüben.
»Wie war noch gleich Ihr Name?«
Wenn sie nachher die Neuigkeit verbreiten wird, wäre es doch dumm, wenn ihr ausgerechnet der Name des ermittelnden Kommissars nicht geläufig wäre.
»Kreuzer, Bastian Kreuzer. Und jetzt entschuldigen Sie uns bitte, wir müssen uns beeilen.«
»Ja, natürlich. Und ich habe ja auch zu tun.«
Montag, 27. Juli, 9.15 Uhr,
Braderuper Weg, Kampen
Die Teekanne in Anjas Hand zittert, als sie ihrer Tochter die Tasse füllt.
»Mami, das reicht. Es läuft doch gleich über.«
»Entschuldige, Mette, ich habe an etwas anderes gedacht.«
Anja wendet sich
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