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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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ab und stellt die Kanne auf das Stövchen.
    »Willst du denn nichts trinken, Mami?«
    »Ich? Ach so, ich hab ja noch gar nichts.«
    »Was ist denn mit dir los? Du hast doch gesagt, jetzt müssen wir uns keine Sorgen mehr machen.«
    »Das stimmt auch. Der Papa hat heute Nacht jemanden festgenommen, der sich sehr verdächtig gemacht hat.«
    »Das Monster aus meinem Zimmer?«
    »Nein, das war wohl nur geträumt. Aber er hat auf der Baustelle nebenan einen Mann gefunden, der wahrscheinlich etwas über die entführten Mädchen weiß.«
    »Wo sie sind?«
    »Ja, vielleicht.«
    »Hier in der Nähe?«
    »Ich glaube nicht.« Anja zwingt sich dazu, ein Brötchen aufzuschneiden, und beginnt, es mit Butter zu bestreichen. »Wie kommst du darauf, dass die Mädchen hier in der Nähe sind?«
    »Ich habe Lise gesehen.«
    Scheppernd fällt das Messer aus Anjas Hand zu Boden.
    »Lise? Wann denn?«
    »Gestern Nacht. Aber das war kein Traum.«
    Mettes Stimme klingt beschwörend.
    Anja bückt sich langsam und hebt das Messer wieder auf. Sie muss Zeit gewinnen. Ihre Hand zittert jetzt noch stärker. Das arme Kind wird ihr noch verrückt werden. Anja nimmt sich vor, mit ihrer Tochter zu einer Therapeutin zu gehen, sobald dieser Wahnsinn vorbei ist. Das Mädchen hat einen Schock, so viel kann sogar sie erkennen. Mit mühsam ruhig gehaltener Stimme fragt sie: »Woher weißt du, dass es kein Traum war?«
    »Ich habe am Fenster gestanden. Man träumt doch nicht im Stehen.«
    »Ich denke, du hast dich gar nicht aus dem Bett getraut.«
    »Aber später schon. Papi ist doch extra nach draußen gegangen, um aufzupassen, dass das Monster nicht wiederkommt.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Und dann bin ich zum Fenster geschlichen. Ich wollte nur sehen, was er macht. Aber er war nicht da. Und das Monster auch nicht. Nur die Engel.«
    »Welche Engel?«
    »Drei kleine Engel. So groß wie ich. Eine war Lise.«
    »Mette, das bildest du dir ein.«
    »Nein!«
    Wütend knallt Mette ihre Tasse auf den Unterteller. Der Tee spritzt über den Tisch.
    »Kind, pass doch auf.«
    »Aber wenn ich sie doch gesehen habe.«
    »Mette, es laufen keine Engel mitten in der Nacht durch Kampen. Vielleicht hast du Angst gehabt, dass die Mädchen tot sein könnten, und hast deshalb geglaubt, sie als Engel zu sehen.«
    Anja fühlt sich unsicher. Wahrscheinlich ist es falsch, Mettes Ängste zum jetzigen Zeitpunkt beim Namen zu nennen. Vielleicht sollte sie lieber gleich mit dem Kind zu einer Psychologin gehen. Nicht dass Mette sich in irgendwelche Angstphantasien hineinsteigert. Aber die Stimme ihrer Tochter klingt seltsam ruhig.
    »Lise war nicht tot. Sie hat mir doch zugewinkt.«
    »Im Traum.«
    »Nein, in echt. Es ist gemein, dass du mir das nicht glaubst.«
    »Okay. Dann erzähl mal von Anfang an.«
    Fieberhaft überlegt Anja, wer ihr eine vertrauenswürdige Kinderpsychologin nennen könnte. Der Hausarzt hält nicht viel von dem »Psychoquark«, wie er es nennt. Die Erzieherinnen sind während der Kindergartenferien alle verreist. Und sie kann doch schlecht einfach zu irgendjemandem gehen, den sie im Internet gefunden hat.
    »… und dann habe ich gerufen, ganz, ganz leise, um das Monster nicht anzulocken. Und damit Papi mich nicht hört, weil er doch gesagt hat, dass ich im Bett bleiben soll. Aber Lise hat mich gehört, und sie hat sich umgedreht und hochgeguckt, und dann hat sie gewinkt.«
    Anja bemüht sich, ihre Stimme ruhig zu halten. Mette darf auf keinen Fall merken, wie sehr sie sich sorgt.
    »Und dann?«
    Anstelle einer Antwort schlägt sich Mette die flache Hand vor den Mund und reißt erschrocken die Augen auf.
    »Auweia, Mami, ich darf das gar nicht erzählen!«
    »Warum denn nicht?«
    »Na, du hast doch eben selbst gefragt, was dann passiert ist. Ich habe auch gewinkt, und dann hat Lise ganz streng geguckt und den Finger über die Lippen gelegt. Guck: so.« Mit weit aufgerissenen Augen ahmt Mette die Geste nach. »Das heißt doch, dass man nichts weitersagen darf. Und jetzt habe ich Lises Geheimnis verraten.«
    »Darüber musst du dir keine Sorgen machen, mein Schatz. Jetzt wissen wir eben beide über das Geheimnis Bescheid. Und ich verspreche dir, dass ich es niemandem auf der ganzen Welt erzählen werde.«
    »Auch Papi nicht.«
    »Nein, auch Papi nicht.«
    »Und wenn er fragt?«
    »Er fragt nicht. Ich glaube, er hat im Moment ganz andere Sorgen.«

Montag, 27. Juli, 10.12 Uhr,
Kriminalpolizei Westerland
    Sven Winterberg fährt sich unruhig mit beiden Händen durch

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