Engel sterben
werden? Das haben Sie sich doch gerade ausgedacht.«
»Mitnichten.«
Sven Winterberg zieht aus einem dunkelgrünen Klapphefter, der vor wenigen Minuten von einer uniformierten Beamtin hereingereicht worden ist, zwei DIN - A 4-Seiten und schiebt sie über den Tisch. Eine zeigt ein stark vergrößertes Foto eines Schuhabdrucks im Dünensand. Auf der zweiten befinden sich mehrere Aufnahmen von einem Sportschuh, Profil, Seite und Draufsicht, neben dem eine säuberlich beschriftete Karte liegt: Nike-Laufschuh, rechts, Größe 44. Fundort: List, Möwengrund 32 a.
»Und?«
»Diesen Schuh hat mein Kollege Bastian Kreuzer heute Vormittag in dem von Ihnen gemieteten Haus gefunden. Das ist doch Ihr Schuh, Herr Hübner, oder?«
»Und wenn schon.«
»Ist er’s oder nicht?«
»Sieht ganz so aus.«
»Na also. Leugnen hätte auch wenig Zweck gehabt, jede DNA -Analyse kann diese Frage klären.«
»Meinetwegen. Aber vielleicht erklären Sie mir mal, wie Ihr Kollege in mein Haus gekommen ist. Hätte er mich da nicht fragen müssen?«
»Nicht, wenn Gefahr im Verzug ist.«
»Und was soll an meinen alten Tretern so gefährlich sein?«
»Die Dünenkuhle, Herr Hübner, in der wir letzte Woche die Kleidung von Ann-Kathrin gefunden haben, war übersäht mit Sohlenabdrücken genau dieses Schuhs.«
Es gelingt Fred Hübner nur unzureichend, die Überraschung zu signalisieren, die jetzt angebracht wäre. Seine Anwesenheit in der Kuhle zuzugeben hält er allerdings auch nicht für besonders schlau. Aber noch gibt es einen Ausweg.
»Diese Abdrücke helfen euch auch nicht viel weiter. Oder sehe ich vielleicht so aus, als könne ich mir Maßschuhe leisten? Den Schuh gibt’s doch tausendmal.«
»Diesen hier nicht. Denn dort vorn links ist ein Teil des Profils abgeknickt, sehen Sie? Und genau das haben wir auch beim Abdruck in den Dünen festgestellt. Die Übereinstimmungen von Schuh und Abdruck sind also eindeutig. Darum frage ich Sie jetzt zum letzten Mal: Was haben Sie mit den drei Mädchen gemacht, verdammt nochmal!«
»Nichts, weil ich sie nicht entführt habe. Ich kenne sie nicht und habe sie nie gesehen. Nicht eines von ihnen. Und sie interessieren mich auch nicht die Bohne. Meinetwegen können sie zum Teufel gehen.«
Winterberg springt auf. Er wirkt, als wolle er Fred Hübner im nächsten Moment an die Kehle gehen.
»Sorry, das habe ich nicht so gemeint. Und wenn Sie es genau wissen wollen, ja, ich war in den letzten Tagen in einer der Sandmulden. Bin da öfter, meist am Abend, erinnert mich an früher, hab da manchmal ’ne schnelle Nummer geschoben. Aber das ist schon ewig her, und man wird sich ja wohl noch an die eigene Jugend erinnern dürfen. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe, ich hab einen solchen Kater, das können Sie sich im Leben nicht vorstellen. Das ist ja Folter, was Sie hier mit mir machen.«
»Folter, Herr Hübner, ist etwas ganz anderes.«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Ich will wissen, wo die Mädchen sind.«
»Wissen Sie was? Ich sage kein Wort mehr. Besorgen Sie mir einen Anwalt, und dann sehen wir weiter.«
»Sie sagen also nichts mehr?«
»Genau.«
»Das werden Sie bereuen.«
»Das werden wir ja sehen.«
Montag, 27. Juli, 12.25 Uhr,
Kriminalpolizei Westerland
Seit zehn Minuten steht Sven Winterberg am offenen Bürofenster. Von draußen dringt stickige, benzingeschwängerte Mittagsluft hinein. Doch ihm scheint, als stehe seit der Vernehmung immer noch dieser Geruch nach Schweiß und Halbwahrheiten im Zimmer. Sven beugt sich weit aus dem Fenster und lässt den Blick über den Parkplatz neben dem Backsteingebäude schweifen.
Als kurz darauf der Wagen Bastian Kreuzers von der Straße her einbiegt, atmet Sven erleichtert auf. Endlich geht es weiter. Es muss einfach weitergehen. Bastian und der von allen als Genie bezeichnete Leo Blum von der Spurensicherung dürfen nicht versagt haben. Sicher konnten sie noch mehr entdecken. Indizien, die die Spur, die der Sportschuh weist, erhärten und ausbauen. Irgendetwas, das endlich zu einem Fahndungserfolg führen wird. Es kann doch einfach nicht sein, dass das gesamte Team seit Tagen im Dunkeln tappt. Erwartungsvoll läuft Sven dem Kollegen entgegen.
»Gibt’s noch was Neues von diesem Hübner?«
»Na, du hast ihn doch vernommen. Das müsste ich eigentlich dich fragen. Komm, wir gehen ins Büro.«
Als sie die Tür hinter sich geschlossen haben, lässt sich Kreuzer auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Sven, der die Luft immer noch abgestanden findet,
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