Engel sterben
tritt wieder ans Fenster.
»Also, die Sache mit dem gemailten Foto von dem Sportschuh war natürlich großartig. Sah wie ein echtes Archivfoto aus, nicht wie ein nur Minuten vorher gemachter Fund, den ihr mit dem Handy verewigt habt.«
»So sollte es auch sein. Schließlich müssen wir hier mal ein bisschen Tempo in die Angelegenheit bringen. Also sag schon: Wie hat Hübner reagiert?«
Angespannt blickt Kreuzer seinem Kollegen ins Gesicht. Sven Winterberg wirft einen verzweifelten Blick auf die grüne Mappe, die jetzt direkt vor Kreuzer auf dessen Schreibtisch liegt.
»Er leugnet.«
»Alles?«
»Von vorn bis hinten. Ich bin beinahe wahnsinnig geworden. Am liebsten hätte ich ihn geschlagen.«
»Das ist nicht dein Ernst.« Kreuzer sieht den Kollegen zweifelnd an, dann zieht sich ein Grinsen über sein Gesicht. »Nicht schlecht, Herr Specht. Übrigens – willst du auch ’ne Pizza?« Mit diesen Worten zieht er einen zerknickten Werbezettel aus seiner Hosentasche und greift zum Telefon.
»Unbedingt. Frische Tomaten, Sardellen und Champignons, wenn’s geht.«
Während Kreuzer mit dem Pizzadienst verhandelt, schlägt Winterberg die Mappe auf und mustert stirnrunzelnd die beiden Fotos. Kreuzers Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken.
»Pizza kommt in zwanzig Minuten. Bis dahin haben wir uns geeinigt, wie weiter zu verfahren ist, okay?«
»Meinst du, Zeitdruck hilft beim Denken?«
»Genau das meine ich. Außerdem will ich mit dem Denken fertig sein, wenn ich mit dem Kauen anfange.«
»Also gut. Fassen wir zusammen: Die Spuren in der Dünenkuhle sind eindeutig von diesem Hübner. Und er war zur Zeit der ersten Entführung am Tatort. Für die Zeit der zweiten Entführung hat er allerdings ein Alibi. Leider.«
»Vielleicht war er’s doch nicht.«
»Du glaubst ihm?« Fassungslos starrt Winterberg den Kollegen an.
Aber Bastian Kreuzer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er lehnt sich weit in seinem Schreibtischstuhl nach hinten. Federnd gibt die Lehne nach. Dann legt er beide Arme hinter den Kopf, schließt die Augen und sagt leise:
»Oder er war es doch und hat einen Komplizen.«
»Das überzeugt mich nicht, Bastian. Solche Sachen sind fast immer ein Alleingang, das weißt du so gut wie ich.«
»Schon, aber es gibt Ausnahmen.«
»Es gibt auch noch eine dritte Möglichkeit: Hübner hat das erste Mädchen entführt und jemand anderes die beiden anderen. Ach, übrigens: Es ist noch jemand Viertes verschwunden.«
Abrupt schnellt Bastian nach vorn. »Und das sagst du jetzt erst?«
»Reg dich ab. Es ist eine Frau Anfang dreißig. Arbeitet als Maklerin in Kampen und wohnt auch dort. Sie ist heute früh nicht im Büro erschienen und geht zu Hause nicht ans Telefon. Ihr Handy ist auch tot. Eine Mitarbeiterin von ihr war vorhin hier. Vorschnell, wenn du mich fragst.«
»Hört sich ein bisschen so an. Was hast du gemacht?«
»Was wohl? Ich habe die Anzeige aufgenommen, denke aber, wir sollten noch einen Tag warten, bevor wir etwas unternehmen. Wahrscheinlich taucht die Maklerin bald wieder auf. Auch ohne unsere Hilfe. Sie lebt allein. Vielleicht musste sie dringend zum Arzt, oder jemand aus der Familie ist gestorben und sie hat in der Aufregung vergessen, im Büro anzurufen.«
»Wie lange ist sie denn schon weg?«
»Im Büro war sie am Samstagnachmittag noch, aber das heißt ja nichts. Wir müssten jetzt erst mal irgendwelche Freunde oder Bekannte ausfindig machen, die sie am Wochenende gesehen haben. Oder eben nicht. Dafür haben wir aber weder die Zeit noch das Personal. Wenn wir der Öffentlichkeit nicht bald den Entführer präsentieren, wird man uns in der Presse steinigen.«
»Und was ist, wenn die verschwundene Maklerin genau die Spur ist, die uns fehlt? Könnte es nicht sein, dass unser Entführer die Zielgruppe geändert hat?«
»Das glaubst du doch wohl selbst nicht.«
Bastian Kreuzer denkt einen Moment nach, dann schüttelt er langsam den Kopf.
»Du hast recht. Ich glaube es selbst nicht. War auch nur so eine Idee. Aber zurück zu deinem Vorschlag mit dem Nachahmungstäter. Das ist der gleiche Quatsch. Reines Wunschdenken, damit es einfacher für uns wird. Außerdem liegen die Entführungen zu nah beieinander. Jeder Nachahmungstäter muss sich doch erst mal mit der Sache befassen, muss unendlich viel organisieren. So was passiert nicht nach zwei Tagen. – Es sei denn …«
»Was?«
»Ich weiß, dass du als Vater das nicht gern hörst, aber eigentlich sind alle Ermittler davon
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