Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

was weiß ich … Heutzutage kann man alles und nichts sein, das meine ich damit … Der CEO einer der größten Werbeagenturen Österreichs ist bei Scientology … will anderen Leuten weismachen, dass sie nur zehn Prozent ihres geistigen Potenzials nutzen, und was macht er selbst? Supermarktplakate: Jetzt alles minus zehn Prozent! … Wen soll man da noch ernst nehmen?“
    „Jemanden wie Thomas Eisert vielleicht, der ein paar Hundert Kilo Sprengstoff baut?“ Endlich kam Bergmann wieder auf halbwegs sicheres Terrain.
    „Terroristen, ja … als Polizist müssen Sie so einen natürlich ernst nehmen, aber sonst …“, Goldmann wirkte mehr und mehr abwesend, „nehmen Sie den Zahnarzt gegenüber: Schicken Sie mitten in der Nacht ein paar uniformierte Schläger zu ihm und seiner Familie … prügeln Sie sie blutig, setzen Sie sie in einen Viehwaggon und schaffen Sie sie in ein Arbeitslager … dann bringen Sie alle bis auf einen Einzigen um. Was denken Sie, wie dessen Verhältnis zu Gott und der Welt danach aussieht?“
    „Darauf habe ich keine Antwort“, Bergmann starrte zusammen mit Goldmann auf die Passanten hinunter. Die Eisverkäufer machten offensichtlich ein gutes Geschäft. „Aber Leute wie Eisert oder dieser Tannhäuser sind ebenfalls der Meinung, dass es Menschen ohne Existenzberechtigung gibt … die man einfach auslöschen kann, nur weil sie nicht in ihre Ideologie passen …“
    „Engel und Dämonen“, Goldmanns Esprit, den er noch zu Beginn von Bergmanns Besuch ausgestrahlt hatte, schien nun endgültig verraucht. „Wenn sich jemand zum Engel erklärt, dann braucht er auch Dämonen … und umgekehrt …“

42.
    Gegen vier Uhr wachte Bergmann auf, weil durch das offene Schlafzimmerfenster Regenwasser auf das Parkett prasselte. Er stand auf, schloss das Fenster und ging ins Bad, um einen Putzfetzen zu holen. Nachdem er die ansehnliche Lache aufgewischt hatte, sah er in den Hof hinunter. Aus dem Kanalgitter vor den Altglascontainern quoll das Wasser, die Sandkiste auf der Spielwiese war zum Planschbecken geworden. Am Vormittag würde die Donau an mehreren Stellen zwischen Passau und Klosterneuburg über die Ufer treten und zahlreiche ufernahe Städte und Dörfer fluten. Gegen Mittag würde der Pegelstand schon bei sechs Metern liegen, in Passau am Abend bei einer Rekordhöhe von achteinhalb Metern. Die Donaustrandbäder östlich von Krems würden so gut wie alle überschwemmt werden, zahlreiche Straßen und Brücken würden unpassierbar sein, sieben Menschen würden sterben innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden dieses Jahrhundert-Hochwassers, wie die Medien es bald nennen würden. Davon ahnte Bergmann noch nichts. Zum Glück bin ich nicht bei der Feuerwehr, sagte er sich, als er das erste Folgetonhorn hörte, und legte sich wieder hin, ohne einschlafen zu können.
    Als er am Vortag nach dem Gespräch mit Amos Goldmann ins Büro zurückgekommen war, hatte er eine Nachricht von Lorenz im Eingangsordner mit der Aufforderung, sich einige Dokumente auf dem gesicherten Server anzusehen. Ay ay, Captain, hatte Bergmann gemurmelt und sich eingeloggt. Nachdem bei Linus Fosters Leiche ein Anhänger derselben Machart gefunden worden war, wie sie Plier, Eisert und Troger besessen hatten, hatte das BVT die unterschiedlichen Prägungen darauf untersucht. Mit ziemlicher Sicherheit handelte es sich um die Symbole von vier Erzengeln: Metatron, Uriel, Chamuel und Gabriel.
    Und da es laut der einschlägigen Sekten- und Esoterikliteratur, die sich in Eiserts Bibliothek zu diesem Thema gefunden hatte, derer acht gab, lag der Verdacht nahe, dass es weitere vier bislang unbekannte Personen gab, die eins besagter Amulette trugen. Das Wort Terrorzelle tauchte noch nirgends auf – was wohl Lorenz’ Paranoia zuzuschreiben war, der nicht einmal der Sicherheit der eigenen Server traute –, doch die Marschrichtung der Ermittlungen zeigte eindeutig in diese Richtung. Ein hochqualifizierter IT -Techniker, der an die nahende Apokalypse glaubte, Bomben baute und in der ganzen Welt unterwegs war; ein in den USA gebürtiger Journalist, der Eisert ziemlich sicher vom BOG gekannt hatte und in Vietnam beim Schwimmen ertrunken war; und schließlich Troger: der Student, der unter dem Nickname demondays auf einschlägigen Websites zahlreiche Artikel über die Weltverschwörung unter der Herrschaft der Juden, Illuminaten und der UNO geschrieben, sich aus dem Internet Anleitungen zum Bau von Briefbomben besorgt und in einem Ausbruch von