Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
und starrte aus dem Fenster. Gedankenverloren, bis sich dort draußen, hoch über den grünen Almen, zum grauen Spiel der Wolken eine Ahnung sammelte, die sich wie ein plötzlich durchdringender Sonnenstrahl in eine Erkenntnis verwandelte. Er hatte sich noch einmal geirrt, allesamt hatten sie sich geirrt! Er sprang auf und packte.
Hinunter zur Rezeption, wo er seine Kreditkarte auf den Tresen legte, aufzählte, was er aus der Minibar konsumiert hatte, und unterschrieb, ohne seinem Gegenüber in die Augen zu schauen. Vielen Dank für Ihren Besuch, wir hoffen, dass alles zu Ihrer Zufriedenheit war … beehren Sie uns bald wieder, Herr Bergmann. Er lief zum Taxistand auf dem Bahnhofsvorplatz und wies den Fahrer an, ihn zum Posten der Bezirkspolizei zu bringen. Freiwillig?, fragte der grinsend. Sicher nicht, antwortete Bergmann.
Anfangs weigerte sich Gruppeninspektor Walch strikt, Bergmann einen Wagen zur Verfügung zu stellen. Was wäre denn, wenn … und so weiter. Dann erinnerte ihn der Chefinspektor aus Wien, dass vor ein paar Jahren ein Major aus Wien ihnen den Arsch gerettet hatte, und die Verdienstabzeichen des Landes demnach irgendwie auch auf fremdem Mist gewachsen wären und so weiter. Zehn Minuten später warf Bergmann seine Tasche auf die Rückbank des Streifenwagens, startete, schaltete das Blaulicht ein und nickte den beiden Beamten zu, die seine rasante Abfahrt skeptisch mitverfolgten. Nur kein falscher Neid, Kollegen. Wenn ihr Lust auf solche Actionnummern habt, wechselt zur Drogenfahndung ins LKA oder bewerbt euch bei der Kobra und in ein paar Jahren treffen wir uns wieder und vergleichen, wer die schwärzeste Seele bekommen hat.
Als er das Stadtgebiet hinter sich hatte, steckte er das Headset ein und rief zuerst den Pfarrer und dann Schäfers Bruder an. In erster Linie ging es ihm darum, ihre Meinung einzuholen über einiges, das er am vorgestrigen Abend erfahren hatte. Rohrschacher – der wohl so etwas wie ein lokaler Durchlauferhitzer für Geschichten und Gerüchte jedweder Art war – hatte binnen einer Stunde zwei weitere Einheimische an den Tisch gezogen, die sich bald rege am Gespräch beteiligten. Wenig später standen drei weitere Männer neben ihnen, worauf sie an den Stammtisch wechselten und Schäfers Verschwinden zum offiziellen Thema des Abends wurde. Dass jener in seiner Jugend ein wilder Hund gewesen war – Zitat Rohrschacher: ein Stachel im Fleisch der Gendarmeriegewalt –, überraschte Bergmann nicht; Drogen, frisierte Mopeds, Vandalismus … erst wenn das aufhörte, Teil der Polizeiarbeit zu sein, musste man sich ernsthaft Sorgen machen. Dementsprechend hatte sich seine Teilnahme am Gespräch bis dahin auf ein paar zustimmende Kommentare oder knappe Antworten auf an ihn gerichtete Fragen beschränkt. Erste Vernehmungsregel: Wenn die Leute reden, lass sie reden.
Erst als Schäfers Entscheidung, Polizist zu werden, zum Thema wurde, spitzte Bergmann die Ohren wie der äsende Hirsch beim Knacken im Unterholz. Auslöser für diese Berufswahl war laut Stammtisch nämlich der Selbstmord einer Schulkollegin gewesen, die sich kurz vor der Matura aufs Gleis gelegt hatte. Die einen sprachen von Prüfungsangst, die anderen von unglücklicher Liebe … Schäfer sah das anders, entführte am Abend nach der Beerdigung mit einem Freund den Vater des Mädchens und hielt ihn irgendwo ihm Wald versteckt. Zwei Tage später tauchte der Mann bei der Polizei auf; allerdings nicht, um seine Entführer anzuzeigen, sondern sich selbst, mit der Begründung, dass er seine Tochter seit ihrem zwölften Lebensjahr missbraucht hatte. Was Schäfer und sein Komplize dem Mann angetan hatten, wollte Bergmann wissen. Worauf sich die Runde kurz in eine gemeinschaftliche Decke des Schweigens kuschelte. Also wisst ihr es nicht, schloss Bergmann – zehn Sekunden später fasziniert davon, wie einfach manche Zungenlöser hier funktionierten. Natürlich wüssten sie es. Ja, von einem Lötkolben hat einer was gesagt. Zigaretten ausgedämpft. Spanholz unter die Fingernägel. Aber verletzt war diese Vergewaltigersau ja nicht gewesen; nichts Offensichtliches halt. Vielleicht haben sie ihm eine Ringelnatter oder sonst was in den Arsch geschoben. Da drüben sitzen Touristen, die sprechen Deutsch, bremste Bergmann schließlich die Folterfantasien der Männer. Was an halbwegs glaubhafter Information geblieben war: eine moderne Saulus-Paulus-Geschichte darüber, wie ein Jugendlicher auf dem Weg Richtung schiefe Bahn an eine
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