Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Anfangs glomm und qualmte es nur; dann fand er unter dem Baumüll, der noch nicht abtransportiert worden war, ein paar Blechdosen, auf denen das orange Viereck mit der schwarzen Flamme zu erkennen war. Eine der Dosen war noch zur Hälfte voll; die versteckten sie unter der hohen Thujenhecke, die das Nachbargrundstück mit den Einfamilienhäusern von dem ehemaligen Betriebsgelände trennte. Nach dem Abendessen verließen sie die Wohnung unter dem Vorwand, mit den Nachbarbuben Sternschnuppen zu schauen. Gingen zurück zur Brachfläche der alten Molkerei und gruben mit abgebrochenen Flaschenhälsen eine Spirale in die Erde, die sie mit allem füllten, was sie als brennbar erachteten. Zuletzt gossen sie das Lösungsmittel aus der Blechdose darüber, schmissen ein brennendes Streichholz hin und schauten dem Feuer aus sicherer Entfernung zu. Wie die Flammen sich in einem ungeahnten Tempo zur Mitte des Kreises hin drehten – da nahm er schon Jakobs Arm –, wie sie blitzartig das trockene Gras daneben entzündeten und schließlich auf die Thujen übergriffen, die binnen kürzester Zeit in prasselnden Flammen standen. Und nicht dass sie die Flucht ergriffen; sie standen vor der lodernden Hecke, als wären sie Kunststudenten und sähen zum ersten Mal die Decke der Sixtinischen Kapelle. Wie das Feuer die bestimmt zwei Meter hohe und bislang quasi undurchdringliche Begrenzung zu den sogenannten Bessergestellten niederfraß: das ließ ihn in einer ungekannten Erregung erstarren.
Doch von all dem wollte Jakob nichts wissen, als Schäfer nach seinem Besuch bei Doktor Hofer plötzlich vor seiner Tür stand. Die Umarmung unter Tränen, die Schäfer über sich ergehen ließ, obwohl sie ihm nicht geheuer war. Dann dieses belehrende Gewäsch, wahrscheinlich fürsorglich gemeint, während er die Erinnerungen teilen wollte, die während der Hypnose in seinem Kopf losgetreten worden waren, von den Eruptionen, Erosionen, Emotionen, die freigelegt worden waren, davon wollte Jakob nichts hören, nichts von den Dingen, die er sich nie einzugestehen getraut hatte, nichts von den gemeinsamen Erlebnissen, die er als Grundfesten seiner Identität erkennen wollte. Stattdessen eine Ohrfeige, nachdem er ihm von den vergangenen Wochen erzählt hatte, von dem, an das er sich erinnern konnte, verdammt, warum konnte sein Bruder ihn nicht verstehen, sein Bruder, mit dem er fast ein Haus niedergebrannt hatte, mit dem er weiß Gott was erlebt hatte, das die Eltern nie erfahren durften, sein Bruder, der doch die gleichen Täler der Verzweiflung durchwandert, die selben Gipfel der Euphorie bestiegen hatte, der Bruder, dem er schließlich aus einer unterbewussten Reaktion den Arm auf den Rücken drehen und die Stirn auf den Couchtisch drücken musste, um nicht noch mehr Schläge einzufangen; da hatte Monika, Jakobs Frau, schon das Telefon in der Hand und schrie hysterisch herum, dass er verschwinden solle, weil sie sonst die Polizei anrufen würde, worauf er ihr entgegnete, dass die schon da wäre, du dumme Nuss, du blöde Kuh, du berechnende Schlampe, die meinen Bruder nie verdient hat, denn was weißt du schon von ihm, wie er früher war, mit mir … da war plötzlich Lisa, seine Nichte, in der Tür gestanden, hatte sich auf ihn gestürzt, um ihn zu umarmen, unter Tränen, was er abermals nicht verstand, bis er sich erinnerte, dass sie ja allesamt damit gerechnet hatten, ihn nur mehr tot zurückzubekommen; worauf er sich entschuldigte und entschuldigte und das Haus verließ, nicht ohne zuvor den Autoschlüssel seines Bruders vom Haken im Vorraum zu nehmen.
Ja, so weit war es gekommen. Dass er den Wagen seines Bruders entwendet hatte und nicht sicher war, ob der deswegen die Polizei anrufen würde. Und dann? Schäfer hatte keine Ahnung, welchen Status er zurzeit besaß, während er auf der A1 zwischen Salzburg und Linz die Radaranlagen zum Blitzen brachte. Vermisst, suspendiert, wanted dead or alive? Als er nach einem vielleicht vierstündigen Schlaf auf dem Parkplatz beim Mondsee das Radio aufgedreht hatte, war die Explosion einer Autobombe im Mühlviertel das bestimmende Thema der Nachrichten gewesen. Phillipe? Wer sonst? Was für eine … unfassbare Geschichte, in die er sich da eingeschrieben hatte. Die seit dem Besuch bei Doktor Hofer und dessen Hypnosesitzung sein Gehirn überschwemmte wie der Tsunami die Küsten Südostasiens. Und er sah sich selbst zu, wie er in den Fluten trieb … der Urlaub in Réunion, wo er Phillipe kennengelernt hatte. Der
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