Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
gerade?“
„Ende Juni? Ich befinde mich in Salzburg bei Doktor Gerhard Hofer, einem der führenden Neurologen und Neurochirurgen, der …“
„Schon gut“, Hofer setzte sich, schaute Schäfer eine Zeitlang sprachlos an und seufzte. „Das ist dann wohl das, was man schicksalhaft nennt … gehen wir hinein … da haben wir’s gemütlicher …“
Ein paar Minuten später saßen sie im Wohnzimmer – comme il faut, Schäfer auf der Couch, Hofer im Fauteuil gegenüber –, nippten Grüntee aus feinem Porzellan und sahen sich schweigend an, bis beiden zugleich ein Lachen ins Gesicht stieg.
„Und wie haben Sie sich das jetzt vorgestellt? Soll ich Ihnen ein paar Spritzen geben oder einen Defibrillator an die Schläfen halten?“
„Wenn es was hilft …“
„Hm“, Hofer schien tatsächlich mit dem Gedanken zu spielen, seinem Gast ein paar Tausend Volt durchs Gehirn zu jagen, „Sie erinnern sich daran, dass ich keine Zulassung mehr besitze …“
„Ja, da war was … aber Sie sind der Einzige, der mir im Moment helfen kann …“
„Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn ich nicht weiß, was der Auslöser für diese retrograde Amnesie war …“
„Und das wollen Sie jetzt von mir wissen … da beißt sich die Katze in den Schwanz, oder?“
„Schauen Sie, Major Schäfer, genau deswegen gehören Sie auch stationär aufgenommen, eine MRT gemacht …“
„Dafür habe ich keine Zeit …“
„Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen … das menschliche Gehirn ist kein Motor und ich bin kein Mechaniker …“
„Ich glaube, dass mir Drogen verabreicht worden sind“, sagte Schäfer nach einer Pause. „Außerdem habe ich, als ich im Wald aufgewacht bin, starke Schmerzen im Hinterkopf gehabt, wie nach einem Schlag …“
„Und ein psychisches Trauma ist dem Verlust Ihres Gedächtnisses auch noch vorausgegangen“, sagte Hofer schnippisch, was Schäfer jedoch entging.
„Ja … schon so etwas in der Art …“
„Bravo! … Dann brauche ich ja nicht lange nach der Ursache zu suchen, wenn bei Ihnen alle drei zusammenkommen …“
„Alle drei was?“
„Die drei häufigsten Auslöser für retrograde Amnesien: Narkotika, Schädel-Hirn-Traumen, psychische Traumen … Sie sind der Wunschpatient eines jeden ambitionierten Neurologen …“
„Wieso fahren Sie mich so an deswegen? Glauben Sie, das habe ich mir ausgesucht?“
„Pardon … es ist nur … diese Situation ist schon sehr befremdlich … verstehen Sie: Wenn ich etwas aus meinem Gedächtnis löschen wollte, dann am ehesten die Zeit, in der wir uns über den Weg gelaufen sind … und dann stehen Sie plötzlich vor meiner Tür und bitten mich …“
„Können Sie mir helfen?“
„Eher nicht … ich kann Sie hier weder einer hirnorganischen Untersuchung unterziehen noch Medikamente verschreiben … wenn Ihre Amnesie exogenen Ursprungs ist, bin ich machtlos … ansonsten …“
„Ich höre …“
„Sprechen Sie auf Hypnose an?“
„Hypnose? Das machen Sie?“, Schäfer sah Hofer an, als ob der ihm vorgeschlagen hätte, ein Huhn zu köpfen und dessen Blut zu trinken.
„Natürlich“, erwiderte Hofer genervt, „ich trete jeden Tag am Residenzplatz auf und verzaubere japanische Touristen für zehn Minuten in Mozart … irgendwie muss ich ja mein Auskommen finden, nachdem …“
„Entschuldigung“, sagte Schäfer, der nicht verstand, warum sein Gastgeber sich so aufregte, „und das funktioniert, Hypnose?“
„Wenn die Amnesie durch ein psychisches Trauma ausgelöst wurde, besteht eine Chance … aber auch dann muss eine Wiederkehr Ihrer Erinnerung nicht von Dauer sein … vielleicht kommt ein Großteil und ist morgen wieder weg, vielleicht kommt gar nichts und nächste Woche … wie gesagt: Es besteht eine Chance … mehr nicht.“
„Na dann … hypnotisieren Sie mich“, sagte Schäfer freudig erregt, klatschte in die Hände und legte sich auf die Couch.
„Zuerst sollte ich wohl sichergehen, dass ich selbst nicht träume“, erwiderte Hofer resigniert und stand auf, um die Balkontür sowie die Jalousien zu schließen.
56.
Die eine Realität, ohne Ton auf dem Bildschirm des Hotelfernsehers: arabische Demonstranten, die von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen niedergemacht wurden; zwei tote Jugendliche, die sich auf einer Brücke das darunter wütende Hochwasser ansehen hatten wollen und weggespült worden waren; abermals ein Bombenkrater, in den ein Haus passen würde, rundherum, zwischen den rauchenden Schrottteilen,
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