Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Tschetschenen erschossen worden sind …“
„Verstehe“, sagte Kovacs sichtlich angewidert.
„Das ist nicht meine Meinung … also: Projektile so schnell wie möglich in die Ballistik, Verwandte und Bekannte ausfindig machen, einvernehmen, wenn die in Wien leben … Schlepperei, haben Sie gesagt … dann sprechen Sie sich mit Beranek ab, der kennt sich da aus … Müller nehme ich mir dann selbst vor … da nehme ich Leitner mit …“
„Okay“, erwiderte Kovacs, ohne ihre Enttäuschung verbergen zu können.
„Sie werden noch genug Gelegenheit haben, ihn kennenzulernen … je später, desto besser, glauben Sie mir … ich werde übrigens zu Mittag nach Wiener Neustadt fahren, mir den Unfallwagen des Bürgermeisters ansehen … dann schauen wir, dass wir das so schnell wie möglich ad acta legen …“
„Haben Sie den Bericht durchgelesen?“
„Ja, gestern noch … so wie Sie gesagt haben: möglich, aber nicht wahrscheinlich … wenn man über den Bericht hinausschaut, verliert allerdings alles an Glaubwürdigkeit …“
„Warum?“
„Weil es nicht in der Natur des Menschen liegt, Geheimnisse zu bewahren … wie viele Menschen müssten laut unserem Richter an diesem Attentat beteiligt gewesen sein … zehn, zwanzig, mehr?“
„So was in der Art, ja …“
„Und von denen hat keiner ein schlechtes Gewissen, verplappert sich im Suff, will vor einer Frau angeben, braucht Geld und verkauft die Geschichte einer Zeitung …? Einer allein, von mir aus, eine ganze Gruppe, nein.“
„Da haben Sie wahrscheinlich recht … na dann, viel Spaß“, sie nahm die Akte wieder an sich, winkte kurz damit und verließ das Büro.
Er hatte gelogen. Den Unfallbericht und die Unterlagen des Richters hatte er nicht einmal nach Hause mitgenommen. Die Idee mit der Fahrt nach Wiener Neustadt war ihm spontan gekommen. Wenn er sein selbst auferlegtes Autoverbot ernst nahm, müsste er den Zug nehmen. Dort könnte er in Ruhe nachdenken; über das, was der Therapeut gesagt hatte, über die weiteren Ermittlungsschritte; bevor er zu Müller, dem Schwein, musste. Ich stehle mich davon, sagte er zu sich und lächelte. Das war eine Freiheit, die er sich schon ewig nicht, wenn überhaupt einmal genommen hatte. Stand davor noch an, die Gruppe zusammenzurufen, mit dem neuen Fall vertraut zu machen und neu einzuteilen. Den Obdachlosen mit Bauchstich würden sie wohl oder übel einstweilen vernachlässigen – so wie es die gesamte Gesellschaft mit ihm machte, musste sich Bergmann eingestehen und fragte sich kurz, ob es einen Ausweg aus dieser Form pragmatischer Ignoranz gab. Er öffnete den Webbrowser und suchte nach einer Zugverbindung nach Wiener Neustadt; im Gegensatz zu Schäfer, der das öffentliche Verkehrsnetz so gut kannte wie Rain Man ein gerade gelesenes Telefonbuch, war Bergmann diesbezüglich geradezu hilflos. Eine Viertelstunde zum Bahnhof Meidling; da plante er lieber eine halbe ein. Müsste er kurz vor eins aus dem Haus. Was für eine kindische Freude ihm das bereitete. Er hob den Hörer ab und bestellte alle Anwesenden zur Morgenbesprechung.
Als er um drei viertel eins das Gebäude verließ und zur U-Bahn ging, liefen ihm Kovacs und Schreyer über den Weg, die wohl gerade vom Essen kamen.
„Wo ist Ihr Auto?“, wollte Kovacs wissen.
„In der Garage, ich nehme den Zug …“
„Sie? … Ah, verstehe, what would Schäfer do …“
„Wie bitte?“, Bergmann sah Kovacs fragend an und dann auf seine Uhr.
„Na, was würde Schäfer tun …“
„Danke, so weit reicht mein Englisch noch. Nur, was Sie mir damit sagen wollen, kapiere ich nicht.“
Kovacs sah ihn unsicher an, ob sie vielleicht wieder zu weit gegangen war. Dumme Rollen-Neuverteilung.
„Na weil es da so Armbänder gibt … bei den Amis haben das viele … WWJD … what would Jesus do … also, wenn man in ausweglosen Situationen ist und sich fragt, was man tun soll … und ich hab gedacht …“
Schreyer, der sah, dass sich seine Kollegin unweigerlich in ein Fettnäpfchen manövrierte, wandte sich ab, um sein glucksendes Kichern zu verbergen.
„Vielen Dank für die Aufklärung, Frau Kollegin … aber ich darf wohl auch einmal mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein, ohne gleich den Geist des Majors herbeizubeschwören“, er sah abermals auf die Uhr, drehte sich um und winkte über die Schulter, hörte nur noch, wie Schreyer Au! schrie, wahrscheinlich weil Kovacs ihm in die Seite geboxt hatte.
8.
Wie ein Tourist fühlte er sich,
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