Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
als er mit der U-Bahn nach Meidling fuhr und dort seinen Bahnsteig suchte. Seine letzte Zugfahrt war schon Jahre her, dieses Verkehrsmittel wie auch Busse und Straßenbahnen waren in seinem Leben so gut wie nicht mehr präsent. Was würde Schäfer tun – diese vorlaute Göre Kovacs hatte zwar Witz, aber nicht viel Ahnung von den Beweggründen, die Schäfer fast ausschließlich und ihn nun außertourlich ins öffentliche Verkehrsnetz trieben. Von seiner Alkofahrt und dem anschließenden Gelübde, wie er es etwas übertrieben nannte, würde er der Inspektorin natürlich nichts erzählen; ebenso wenig von Schäfers Motiven. Dass sich die öffentlichen Verkehrsmittel hervorragend eigneten, um die menschliche Spezies zu studieren, etwa den Gesichtsausdruck eines Lügners am Handy ( „Ich bin schon am Flughafen …“ ), die Ressentiments der Leute, wenn ein Schwarzer einstieg – das mochte durchaus eine nützliche Folgewirkung von Schäfers Verhalten sein, doch die Ursache war nach Bergmanns Ermessen eine ausgeprägte Auto-Phobie. Anders war es nicht zu erklären, dass Schäfer sich nach zehn Minuten im Stau aufzuführen begann wie ein Pavian, den man in eine Holzkiste sperrt. Der Nicht-Rhythmus, den das Autofahren in der Stadt mit sich brachte, destabilisierte ihn, und wenn nicht einmal mehr das Blaulicht dabei half, besser voranzukommen, dachte manch anderer Verkehrsteilnehmer, der von außen in ihren Wagen sah, wohl eher an einen Privattransport in die Entzugsklinik als an den Dienstwagen der Kriminalpolizei. Eine Ausnahme bildeten Fahrten in abgelegene und wenig besiedelte Gegenden. Einmal waren sie im Südburgenland unterwegs gewesen, um einen Zeugen zu vernehmen, und nach dem Tanken in der Nähe von Oberwart übernahm Schäfer das Steuer, tuckerte untertourig und mit leicht erhöhter Traktorgeschwindigkeit über die Landstraße, sah sich gelassen die Gegend an und nickte immer wieder, seinen eigenen Gedanken zustimmend, mit dem Kopf. An diesem Nachmittag war Bergmann, den das ungewohnte Tempo zuerst genervt und dann in eine angenehme Trance versetzt hatte, ein klares Bild von Schäfers eigentlicher Bestimmung erschienen: Sheriff in einer Kleinstadt inmitten der USA , Missouri, Kansas, Nebraska … wo er in slow motion durch die Gegend fuhr, eine Ray Ban Aviator auf, und den paar auffälligen Jungs, die in sein Sichtfeld kamen, mit einem Wink des Zeigefingers zu verstehen gab, dass sie verdammt noch mal keinen Scheiß bauen sollten. Nach einer halbstündigen Fahrt durch einsame Wälder hielt er dann vor einem alten heruntergewirtschafteten Farmhaus, auf dessen wettergegerbter Holzveranda ein älterer Mann in einem Schaukelstuhl saß, aus einem Marmeladeglas eine goldbraune Flüssigkeit schlürfte und das Eintreffen des Sheriffs stoisch zur Kenntnis nahm.
„Mitch“, sagt Sheriff Schäfer, nachdem er den Hut aufgesetzt und seinen Blick über den Hundezwinger, die zwei schrottreifen Pick-ups und den Hühnerstall hat schweifen lassen, dessen provisorisches Kaminrohr ihm sagt, dass dort keine Eier mehr gelegt, sondern schwarz destilliert wird.
„Tag, Sheriff … Ärger?“
„Müsste mit deinem Ältesten sprechen … ist er hier?“
„Frank? Nein. Ist Eichhörnchen jagen.“
„Eichhörnchen, hm?“
„Ja, Eichhörnchen.“
„Nimmt er wahrscheinlich eine 22er, für die Eichhörnchen …“
„Klar, mit meiner wäre das Loch in dem Vieh das Einzige, das übrig bleibt …“
„Immer noch die M1 Garand, was …“
„Klar … nicht umzubringen, die alte Lady …“
„Ja … wann kommt Frank zurück, hast du gesagt?“
„Hab ich nicht gesagt, aber gegen zwei vielleicht … kann auch später werden … weißt ja, wie sie sind …“
„Ja … gegen zwei, hm … sag ihm nicht, dass ich da war, klar, Mitch?“
„Geht klar, Sheriff … hat der Junge Ärger?“
„Kann sein … wollen wir’s nicht hoffen.“
Dann, beim Wagen angelangt, öffnet Schäfer die Tür, wirft seinen Hut auf den Beifahrersitz und wendet sich nochmals dem Mann auf der Veranda zu.
„Übertreib’s nicht Mitch, ja“, sagt er und deutet mit dem Kopf auf den umfunktionierten Hühnerstall.
„Geht klar, Sheriff.“
Ja, Mitch war in Ordnung, ein Schwarzbrenner und Wilderer, aber was war ihm nach dem Verfall der Preise schon übrig geblieben, Mitch war schon in Ordnung, aber sein Ältester, Frank, verdammt, mit dem würde es nicht gut gehen, da gab sich der Sheriff keinen falschen Hoffnungen hin.
Bergmann nahm den Bericht aus
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