Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Kontrolle geraten … aber in welchem Fall? Der Mörder des Installateurs?
„Herr Bergmann“, Kovacs’ Stimme aus ihrem Büro, an dem er eben vorbeiging.
„Bei mir“, erwiderte er, „fünfzehn Minuten.“
Er hängte sein Jackett an den Bügel, füllte den Wasserkocher und bereitete sich eine Kanne Kräutertee. Dann fuhr er den Computer hoch und ergänzte den Akt Schäfer um die Informationen, die ihm der Therapeut gegeben hatte. Sich ein paar Tage ausschließlich und ungestört darum zu kümmern, darauf hatte er jetzt Lust. Das wäre allerdings kein guter Start als Gruppenleiter, gestand er sich ein und hörte schon das Getuschel der anderen: Jetzt macht er schon auf Schäfer, kocht sein eigenes Süppchen und wir dürfen seiner Majestät nach Belieben dienen. Nein, er konnte nicht das machen, was er seinem Vorgesetzten oft genug übel genommen hatte: dieses Unstrukturierte, Chaotische, dieses Zufällige, in dem zumeist nur Schäfer selbst eine Art von Ordnung erkannte. Und wer hatte das System am Laufen gehalten? Wer, wer? Eigentlich bin ich schon längst Gruppenleiter, sagte Bergmann laut und streckte seinen Rücken durch. Klopf, klopf, Kovacs.
„War was los in der Nacht?“, wollte er wissen.
„Ja, leider“, sie legte ihm einen einseitigen Bericht und ein paar Bilder hin, „Mergim Dushku … zwei Schüsse, einer in den Kopf, einer in die Brust, beide aufgesetzt … war sofort tot …“
„Ist das am Gürtel?“, Bergmann beugte sich über die Tatortfotos, ohne sie in die Hand zu nehmen.
„Ja … vor dem Senor …“
„Ah, Freund Müller wieder einmal“, sagte Bergmann, der den Besitzer des Nachtclubs schon zur Stammkundschaft zählte. Eigentlich hieß Müller Radkovic, hatte seinen kroatischen Namen allerdings aus geschäftlichen Überlegungen aufgegeben, was ihm tatsächlich dabei geholfen hatte, sich als Fixgröße im Rotlichtmilieu zu etablieren. So absurd es war: Auch wenn alle, die mit ihm zu tun hatten, wussten, dass er aus einem Dorf in der Nähe von Dubrovnik stammte, wurde er dank seines neuen Namens als Österreicher akzeptiert und hatte gleichzeitig den Vorteil einer Muttersprache, die seine Beziehungen zur postjugoslawischen Unterwelt stärkte. Milieugemäß hatte er durch seine Tätigkeit immer eine Hand in der Schelle und einen Fuß in der Zelle. Die Branche war seit der Ostöffnung verstärkt in Umbruch geraten – die Russen drängten in den Prostitutionsmarkt, die Nigerianer wollten ihren Löwenanteil vom Drogenkuchen, an dem die Albaner und Serben auch gern mitnaschten, bulgarische und rumänische Roma versuchten ihren Kleinstrich zu etablieren, den sie mit weiblichen Verwandten besetzten – und wo früher ein Stich ins Gesäß als kollegialer Hinweis zur Reviereinhaltung gegolten hatte, gehörten mittlerweile automatische Waffen zu jeder Großrazziabeute. Ohne Erpressung, Drohung, Körperverletzung und andere Delikte konnte jemand wie Müller seine Position nicht behaupten – die Gesetze des freien Marktes gingen hier wie anderswo nicht ohne Gesetzesübertretungen ab, das wussten sie auf beiden Seiten.
Doch auch wenn der diesbezüglich eher unbedarfte Innenminister immer wieder von zero tolerance sprach, hatte man sich auf den unteren Ebenen mit dem Kompromiss des geringeren Übels abgefunden. Solange Müller keine Kinder zur Prostitution zwang, seine Huren nicht über das übliche Maß hinaus misshandelte, solange er keinen offenen Krieg anzettelte, der über mediale Aufmerksamkeit das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beeinträchtigte, hielten sie eine Pattstellung, die darauf hinauslief, der anderen Seite nicht zu viel Ärger zu machen. Eine Hinrichtung vor einem von Müllers Nachtclubs brachte diese Stellung aber gehörig ins Wanken.
„Mergim … Albaner?“
„Kosovare … hatte Aufenthaltsverbot wegen Schlepperei …“
„Irgendwelche Zeugen?“
„Genug, als wir hingekommen sind … eigentlich müsste der Türsteher etwas gesehen haben …“
„Aber der war gerade pinkeln …“
„Richtig …“
„Gibt’s Kameras?“
„Ja … das Opfer ist beim Verlassen des Lokals drauf … der Mord muss allerdings im toten Winkel stattgefunden haben …“
„Sagt Müller etwas dazu?“
„Der ist in Monaco, kommt heute Abend …“
„Gesunde Bevölkerungsentwicklung …“, dachte Bergmann laut, während er den kurzen Bericht überflog.
„Wie bitte?“
„Ach, nichts … nur ein Bonmot von unserem Meisterzyniker, als letztes Jahr die beiden
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