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Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Haderer
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See, Aufstellungsarbeit im Ottensteiner Wald. Die Termine für die jeweiligen Veranstaltungen lagen im Zeitraum von Jänner bis Mai. Bergmann griff zum Telefon und rief einen der zuständigen Fahnder an. Ob sie etwas über irgendwelche Seminare wüssten, die Schäfer besucht hatte? Ob sie diese Zeitungen überhaupt durchgesehen hätten? Er legte auf und erinnerte sich an das Telefonat mit Lisa, bei dem sie ihm erzählt hatte, dass ein Bekannter von ihr Schäfer bei einem Seminar in Kärnten gesehen hatte. Warum war er dem nicht nachgegangen? Doch wenn er sie jetzt deswegen anrief, würde er ihr nur bestätigen, was sie und ihr Vater ihm ungesagt vorwarfen: dass er sich zu wenig kümmerte. Morgen!
    Er öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. Es war kurz nach neun und immer noch hell. Es war Sommer und er bekam so gut wie nichts davon mit. Doch eigentlich war es andersrum: Die Jahreszeiten und das Wetter waren ihm seit jeher vergleichsweise egal und in seltenen Momenten wie diesem registrierte er diese Unempfindlichkeit oder Ignoranz oder Verdrängung. Natürlich war es auch ihm lieber, zum Zwitschern der Amseln durch den Prater zu laufen als zum Scharren der Schneepflüge, aber anders als Schäfer litt er nicht darunter. Wozu auch, es ließ sich ohnehin nicht ändern.

18.
    Einen Augenblick fürchtete er, über Nacht taub geworden zu sein – die Kälte, die ihm in die Ohren gekrochen war, um sein Trommelfell spröde zu machen, damit die Waldameisen, die regelmäßig seinen Schlaf störten, es leichter perforieren, zernagen und in ihren Haufen tragen konnten. Doch Taubheit war es nicht. Er hörte ja die Vögel, den müden Wind in den Bäumen, das Gurgeln seines Bachs; doch er nahm es wahr, als hätte jemand die Lautstärke zurückgedreht, in einem anderen Raum, aus dem die Geräusche des Waldes nun zu ihm drangen. Er gähnte, hielt sich die Nase zu und machte einen Druckausgleich; ohne Ergebnis. Er wartete, bis das Sonnenlicht sein Revier geflutet hatte, stand auf und begann mit der Nahrungssuche. Mittlerweile sprach er mit seiner Umgebung: Hallo Föhre, na, gut geschlafen? Meister Specht, alles klar da oben? Und das brave Ameisenvolk; wenn mir noch einmal eine von euch in der Nacht ins Ohr kriecht, zünde ich euren Haufen an, verstanden! Er bückte sich über seinen Bach, trank und wusch sich das Gesicht. Er hörte ein Knacken im Unterholz, sein Körper spannte sich an, flucht- oder angriffsbereit, blitzschnell scannten seine Augen den Bereich, aus dem das Geräusch gekommen war, ein Eichhörnchen sprang an einem Baumstamm hoch, Friede.
    Als die Sonne fast senkrecht über ihm stand, gönnte er sich eine Pause. Da das nahe Umfeld seines Schlafplatzes kaum noch Nahrung bot, hatte er seine Suche ausdehnen müssen und war in steileres Gelände gelangt. Am Fuß eines Felsvorsprungs hatte er Huflattich gefunden und ein paar Handvoll gegessen, bis ihm der bittere Geschmack zu viel wurde. Satt war sie noch lange nicht, fiel ihm die wiederkehrende Textzeile aus einem Kinderbuch ein. Die Raupe Nimmersatt! Er lächelte und lehnte sich an den warmen Fels. Auf welcher Seehöhe befinde ich mich? Wie war das mit der Waldgrenze, mit der Baumgrenze, mit dem Übergang von Laub- zu Nadelwald … Föhren, Lärchen, Tannen … ein Name geisterte ihm durch den Kopf: Tannhäuser. Ein Gesicht gesellte sich dazu, das eines zugleich freundlichen und Furcht einflößenden Mannes, jemand, dessen Zorn man nicht auf sich ziehen sollte; wessen Zorn hat sich auf mich gerichtet?, fragte er sich. Gott? Und wieso umgab ihn seit seinem Erwachen dieses religiöse Geflecht wie ein bergender und zugleich beengender Mantel? Zumindest die Todesangst war ihm seit dem Vortag kein ständiger Begleiter mehr; vielleicht war auch diese kurz empfundene Taubheit am Morgen, diese immer noch anhaltende Gedämpftheit der Geräusche nur Ausdruck dafür, dass er auf dem Weg der Besserung war. Vielleicht war sein Empfinden jetzt normal; diese Entschärfung der Sinneseindrücke und Reize nur Ausdruck dafür, dass ihn das Leben zurücknahm. So übel war dieser Wald hier ja gar nicht. Er nährte ihn, er bot ihm einen Schlafplatz. Er hielt ihn am Leben.

19.
    „Herr Bergmann?“
    „Ja“, Bergmann, das Telefon zwischen Schulter und Wange geklemmt, stand in der Küche und schnitt eine überreife Mango auf. Dieser Anruf kurz vor sieben war wohl die Rache des Therapeuten für den letzten Besuch.
    „Ich habe ein paar Kollegen angerufen und mit der Krankenkasse gesprochen

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