Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Vernehmung, U-Haft oder Vernehmung? Zwanzig Minuten später standen zwei Beamte mit dem Mann in der Sicherheitsdirektion, nahmen ihm auf Bergmanns Geheiß die Handschellen ab und führten ihn in den Vernehmungsraum. Bergmann hatte sich noch nicht gesetzt, als sein Handy läutete, das er gegen seine Gewohnheiten mitgenommen hatte. Eine Sekunde überlegte er, Lisa wegzudrücken, dann nahm er ab, bat sie, einen Augenblick zu warten, und fragte den regungslos vor ihm sitzenden Mann, ob er etwas trinken wolle. Ein müdes Nicken als Antwort, Bergmann ging auf den Gang und bat die erste vorbeikommende Beamtin, Tee und Wasser in den Vernehmungsraum zu bringen. Dann nahm er die Hand vom Handy und stellte sich Schäfers Nichte; versuchte sie und sich selbst mit leeren Phrasen darüber hinwegzutäuschen, dass er in den vergangenen Tagen so gut wie nichts unternommen hatte, um ihren Onkel zu finden. Mitten in diese heiße Luft hinein stellte sie die Ansage, dass ihr Vater einen Privatdetektiv engagiert hatte. Als Bergmann in den Vernehmungsraum zurückging, wusste er im ersten Augenblick nicht, wer der junge Mann war, der da vor ihm saß.
„Wo waren Sie die letzten paar Stunden, Herr Melzer …“
„Im Wald …“
„Im Wald … zum Nachdenken oder zum Davonlaufen?“
„Eigentlich zum Aufhängen“, Melzer sah Bergmann an und verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln.
„Woher sind Sie?“
„Ich? Aus Kärnten … in der Nähe von Millstatt …“
„Schöne Gegend, der See und die Berge … habe ich letztes Jahr auf dem Weg von Kroatien herauf einen Abstecher hin gemacht … wann sind Sie nach Wien gezogen?“
„Vor zehn … vor elf Jahren …“
„Hm … braucht sicher seine Zeit, bis man sich da umstellt … haben Sie Ihre Frau in Wien kennengelernt? …“
„Nein … in Kärnten … da war sie auf Urlaub …“
„Dann sind Sie wegen ihr nach Wien?“
„Nicht nur … ja, eigentlich schon …“
„Elf Jahre … meine längste Beziehung hat gerade einmal vier gehalten …“
Unvermittelt begann der Mann elendiglich zu weinen, er heulte und rotzte, er zerbrach vor Bergmanns Augen, der langsam aufstand, weil er aus Erfahrung wusste, dass solchen emotionalen Eruptionen völlige Erschöpfung genauso folgen konnte wie blinde Aggression.
Nach ein paar Minuten hatte sich Melzer wieder gefangen.
„Sie hat immer wieder so einen Scheiß gemacht …“
„Was für einen?“
„Wenn wir uns gestritten haben … dass sie sich aufs Gleis stellt und mich dann anruft … einmal ist sie bei einer Raststätte über die Autobahn gelaufen … das war zwar mitten in der Nacht, aber zwei Sekunden später sind ein paar Lkw vorbeigedonnert …“
„Emotionale Erpressung“, merkte Bergmann an.
„Was?“
„Jemandem auf diese Weise zu drohen … ich kenne das …“
„Ach, und … wie ist es ausgegangen?“
„Wir haben uns getrennt …“
„Das hätte ich auch tun sollen …“
„Haben Sie sie gestoßen?“
Melzer sah zuerst Bergmann an und dann wieder auf seine Hände.
„Nein … sie ist auf dem Fensterbrett gestanden … und ich habe gesagt: Jetzt spring doch endlich …“
„Und dann ist sie gesprungen?“
„Nein … sie hat gesagt: Das täte dir so passen … dann wollte sie heruntersteigen und der Träger von ihrem Nachthemd hat sich am Fenster verhängt … sie hat daran gerissen, dann war sie weg … sie war so schnell weg, das war wie ein blöder Zaubertrick … das habe ich erst geglaubt, als ich sie unten im Hof gesehen habe …“
„Wollen Sie heute Nacht zu Hause schlafen oder lieber hier bleiben?“, Bergmann wollte so schnell wie möglich raus aus diesem Raum.
„Darf ich mir das … das heißt, Sie glauben mir …“
„Gibt es einen Grund, es nicht zu tun?“
Später saß Bergmann im Büro und hatte die Sachen aus Schäfers Wohnung vor sich liegen. Melzer hatte er in Verwahrung nehmen lassen – besser eine harte Pritsche als noch ein Toter auf dem Müllcontainer im Hof. Die Sache mit dem Privatdetektiv. War er jetzt beleidigt? Oder hatte er ein schlechtes Gewissen? Er blätterte die alten Stadtzeitungen durch, im Anzeigenteil hatte Schäfer drei Inserate markiert: Seminare zur Selbstfindung, Sinnsuche, Entspannung, oder was auch immer sich hinter obskuren Begriffen wie Channeling, Enlightning oder Vitalenergetischer Körperarbeit verbarg. Bergmann nahm die vier anderen Ausgaben und schlug den Anzeigenteil auf. Dasselbe in Grün: Naturnahe Transzendenzerfahrung, Astral-Clearing am
Weitere Kostenlose Bücher