Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Sein Zustand hatte sich gebessert, die Übelkeit und der Kopfschmerz waren verflogen, Dank sei Wedekinds Frühstück inklusive Ingwer-Karotten-Koriander-Chili-Ananas-Shake. Von einem klaren Kopf konnte dennoch keine Rede sein. Ein durcheinanderfallendes Chaos hatte er dort oben; als ob Zeit, Raum und Logik außer Kraft gesetzt worden wären. Die U-Bahn traf am Westbahnhof ein – fünf Stationen und er hatte das Gefühl, mindestens eine halbe Stunde auf seinem Platz gesessen zu sein. War er eingeschlafen und die ganze Strecke hin und retour gefahren? Er sah auf die Uhr. Kurz vor Mittag. Und? Wozu? Er hatte keine Ahnung, wann er Wedekinds Wohnung verlassen hatte. Dann diese Stimmen, die sich von den anderen Fahrgästen an seine Ohren schlichen, erst leise ein paar kaum verständliche Worte ( „ … Bauchdecke nicht hart ist, brauchst du dir keine Sorgen … nein, Elfriede“), dann an- und abschwellend („ … das hab ich ihm ja gesagt, aber er kapiert’s nicht, er kapiert’s nicht …“), dann so wuchtig, dass er sich den linken Zeigefinger in die Ohrmuschel drückte („So einer gehört an die Eier aufgehängt und angezunden!“). Am Stephansplatz stieg er aus, lief die Treppen hoch, drängte sich durch eine Gruppe japanischer oder koreanischer Touristen, die vor dem Ausgang ihrem Reiseleiter lauschten, wich in eine Seitengasse aus und verfolgte einen menschenarmen Weg in den 2. Bezirk.
Endlich daheim, duschte er abermals eiskalt, spazierte dann gedankenverloren und nackt durch die Wohnung und drehte Martins CD auf Nachbarschaftsstreitlautstärke. Alex Harvey, The Faith Healer.
If your body’s feelin’ bad
And it’s the only one you have
You want to take away the pain
Go out walkin’ in the rain
You watch the flowers go to bed
Ask the man inside ya head
Your spirit never has to grieve
All ya got to do’s believe
The faith healer
The faith healer
All ya got to do is feel
Your body’s going to start to heal
Fingertips and holy fire
Everlasting sweet desire
It don’t matter what the doctor said
The healer man will sail away
Immortality for two
The miracles, can come to you
The faith healer
The faith healer
Can I put my hands on you?
Can I put my hands on you?
Einer plötzlichen Eingebung folgend beendete er seinen wüsten Trancetanz und begann zu packen. Was für eine Eingebung, zum Teufel?, er musste raus aus der Stadt, bevor er verrückt wurde. Der Plan: Waldviertel, das Hotel am Ottensteiner See, wo dieser Esoterikquatsch stattgefunden hatte, viele Bäume, frische Luft und kühles Wasser, Schwimmen, vielleicht ein Besuch bei seinen Eltern, nur vielleicht, über das Feld spazieren, weitum kein Mensch, der Geruch vom Land. Das Auto? In diesem Zustand? Er suchte im Internet nach einem Zug. Vom Praterstern gab es um fünf vor vier eine direkte Busverbindung. Eine halbe Stunde, das ginge sich aus, wenn er sich konzentrierte.
Als der Bus über den Zubringer auf die Autobahn auffuhr, begann sein Herzschlag sich zu beruhigen. Nie wieder, schwor er sich. Nie wieder würde er derartige Mengen an Alkohol trinken. Noch dazu dieses Gemisch aus Wein, Sekt, Whisky, Ginger Ale und was Leitner sonst noch alles herbeigeschleppt hatte. Was Bergmann immer noch mächtig wurmte, war, dass sie sich vom Geschäftsführer des Nachtlokals hatten einladen lassen. Nicht auf alles, daran glaubte er sich zu erinnern – doch den Veuve Clicquot, den er kurz darauf dem Donnerbrunnen geopfert hatte, den hatten sie sicher nicht bestellt. Ein Geschenk des Hauses, na von wem wohl, Müller, dieses Aas, hatte die Situation schamlos ausgenutzt; dabei hatte Bergmann ihn nicht einmal zu Gesicht bekommen. Oder doch? Er hatte einen Filmriss, einen kurzen, aber doch lang genug, um die Geschehnisse der vergangenen Nacht nicht vollständig rekonstruieren zu können. Hatte Leitner ihm vielleicht sogar Drogen verabreicht? Wäre nicht das erste Mal, dass der etwas abgezweigt hätte. Nein, nie im Leben hätte er so etwas genommen. Getrunken, ja, dieses Biest abfüllen, das sich so plötzlich in ihm breitgemacht und Durst!!! geschrien hatte, das war nicht er selbst gewesen, aber das machte es um keinen Deut besser. Über dem Lärmschutzwall neben der Schnellstraße zitterten ein paar Falken, das Brummen des Dieselmotors machte ihn müde.
Ein Mann weckte ihn mit einem sanften Tippen auf die Schulter. Bergmann sah sich schlaftrunken um. Der Bus hatte angehalten, die Gegend kannte er nicht. Diese dichten Nadelbaumwälder, diese
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