Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
staubige Straße, das war nicht der Weg ins Waldviertel. Mit einem hydraulischen Zischen öffnete sich die hintere Tür. Alle anderen Mitreisenden drehten sich zu ihm hin. Er verstand nicht, was hier vor sich ging. Wo war er? Der Busfahrer erhob sich von seinem Sitz, drehte sich um und gab Bergmann mit einer Geste zu verstehen, dass er hier aussteigen solle. Der wollte widersprechen, doch seine Stimme war verloren gegangen. Er schüttelte den Kopf, nein, ich will hier nicht raus, hier ist nichts und niemand, fahren Sie gefälligst weiter. Der Fahrer wiederholte seine Geste und die Passagiere begannen heftig zu nicken, als wollten sie ihn anfeuern. Bergmann bekam Angst, stand auf, griff in die Ablage nach seiner Reisetasche und stolperte aus dem Bus, der ihn gleich darauf in eine nach Diesel schmeckende Staubwolke hüllte. Er sah sich um. Etwa hundert Meter weiter in Fahrtrichtung kletterte plötzlich eine Frau aus dem Straßengraben und winkte ihm. Er hob seine Tasche auf und lief in ihre Richtung. Iris?, sagte er verwundert, nachdem er seine Halbschwester erkannt hatte, was tust du hier? Sie gab keine Antwort, deutete mit ausgestrecktem Arm in Richtung Wald und lief davon. Ein steiniger Pfad führte vom Straßenrand leicht abfallend zu den dicht stehenden Bäumen; Föhren oder Lärchen, das wusste Bergmann nie zu unterscheiden, doch ihr Duft rief in ihm immer noch den Campingplatz in Kroatien wach, wo er als Sechsjähriger mit seinen Eltern auf Urlaub gewesen war. Gleichzeitig mit dieser Erinnerung setzte auch das Sirren der Zikaden ein, das seine weitere Wanderung durch den Wald wie eine Sirene begleitete, von der er nicht wusste, ob sie ihm zur Warnung oder als Wegweiser diente. Ein See. Erst eine Wiese, märchenhaft mit Akeleien, Feuerlilien und Wollblumen, dann ein schmaler Streifen pures Gras, dann einen halben Meter tiefer das grüne Wasser. Bergmann ging behutsam über die Wiese, nur auf keine dieser wunderbaren Blüten steigen, dann stand er am Ufer und sah ihn. Wie ein Gemälde, dessen Name und Ursprung ihm nicht einfielen, lag Schäfer dicht unter der Wasseroberfläche, die Augen geöffnet, die Lippen fast unmerklich bewegend. Panisch sprang Bergmann in den See, griff nach Schäfer, der zurückwich und jetzt zu schreien schien, seine Stimme kam aus dem Wald hinter Bergmann: Töte meine Dämonen nicht! Töte meine Dämonen nicht! Bergmann versuchte es erneut, fiel in den See, grub mit seinen Händen nach Schäfers Körper und fand nur feuchten Schlick.
„Alles in Ordnung, junger Mann, Sie haben nur geträumt“, der Busfahrer hatte seine Hand auf Bergmanns Schulter und sah ihn belustigt an. Er war der einzige verbliebene Fahrgast.
„Wo sind wir?“
„Ottenstein. Alles aussteigen bitte“, der Fahrer ging grinsend nach vorne und setzte sich wieder hinters Steuer.
Bergmann wischte sich übers Gesicht. Sein Hemd war nass, ihm war kalt. Klimaanlage, er würde sich bestimmt eine Erkältung holen, dachte er benommen, als er aus dem Bus stieg. Dann setzte er sich gegen alle Gewohnheiten in die Wiese neben der Bushaltestelle und trank die Flasche Mineralwasser leer, die er sich am Praterstern an einem Kiosk gekauft hatte. Er biss sich auf die Zunge. Noch einmal. Noch einmal. Au, ja, ich bin wach. Er war den Tränen nah. Was für ein bescheuerter Traum. Er träumte so gut wie nie. Und wenn, dann das, was er am Tag erlebt hatte, eins zu eins. Und nicht so einen Irrsinn. Iris. Die hatte er seit über einem Jahr nicht gesehen. Töte meine Dämonen nicht, was sollte das denn heißen? Arschloch Alkohol. Er stand auf, schaute nach links und rechts und überquerte die Straße. Die Abkürzung zum Stausee gingen nicht mehr viele Leute, wie er an dem von Bärenklau, Brennnesseln und anderem Gestrüpp überwucherten Weg erkannte. Dem Bärenklau wich er vorsichtiger aus als den Brennnesseln; diese waren kurz schmerzhaft, aber eigentlich harmlos; jener aber enthielt ein perfides Gift, das erst in Verbindung mit Sonnenlicht seine ganze Haut verätzende Boshaftigkeit entfaltete, eine sogenannte Photodermatitis, von der Bergmann als Kind nach dem Himbeerpflücken ein langes Klagelied singen hatte können.
Badehose vergessen, Scheiß drauf, er glitt nackt in den See und schwamm unter Wasser, bis er es nicht mehr aushielt. Ein euphorisches Auftauchen, gefolgt von schnellen, vielleicht auch wütenden Kraulzügen, die er nicht einstellen konnte, bis er mit den Händen in den Kies griff. Das war weit. Zu weit?, fragte er sich,
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