Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
als er zum gegenüberliegende Ufer sah, wo die wenigen Badegäste so groß wie Legofiguren waren. Es führte eine Promenade um den See, auf der er in einer halben Stunde an seinem Liegeplatz wäre, sagte er sich, und wusste gleichzeitig, dass diese Option außer Frage stand. Zurück ins Wasser. In der Mitte des Sees angelangt, hielt er inne, versuchte sein tobendes Herz durch langsames gleichmäßiges Atmen zu beruhigen. Eine leichte Panik, die sich nur steigerte, als er sich auf den Rücken legte. Was sollte er jetzt tun? Schreien? Beten? Er schloss die Augen und kraulte los, spulte zu den Tempi seiner Arme ein Mantra ab: Du wirst nicht sterben, du wirst nicht sterben, du wirst nicht sterben. Bis er mit dem Kopf an eine Wurzel stieß, die unter Wasser aus dem Ufer ragte.
„Gut trainiert“, sagte eine junge Frau, als er zu seinem Handtuch wankte. Sehr wahrscheinlich, dass sie seine Tränen für Seewasser hielt.
„Geht so“, erwiderte Bergmann, legte sich auf den Rücken und schickte einen stummen Dank nach oben.
„Schwimmen Sie öfter hier?“ Kannte er sie? Dieses Gesicht … na ja, der Weibchentypus, den ein Meter neunzig und eine profilierte Muskulatur zwangsartig in Balzhaltung brachte. Ach, was würde ein Hetero für diese prall zur Schau gestellten Brüste und das Versprechen geben, das der nur mit Schamvollrasur tragwürdige Stringtanga gab. Dieses Gesicht … er versuchte sie sich angezogen vorzustellen … in einer Uniform … die machte bekanntlich einen ganz anderen Menschen aus jemandem … Krankenschwester? … Egal … was hatte sie ihn gefragt?
„Früher, ja …“
„Kommen Sie aus der Gegend?“
„Waldhausen … also, da bin ich geboren …“
„Und jetzt?“, sie drehte sich auf den Bauch und zündete sich eine Zigarette an.
„Was jetzt?“
„Geh’ ich Ihnen auf die Nerven … dann …“
„Nein, nein … ich habe nur die Frage nicht verstanden …“
„Ob Sie jetzt noch hier leben, in der Gegend …“
„Nein, in Wien … schon lange …“
„Okay …“
„Und Sie?“
„Ich lebe in Zwettl … immer schon … gefällt mir da …“
„Kann ich verstehen … ist ja auch schön hier …“
„Ja … ich bin übrigens die Selma …“
Bergmann drehte sich zur Seite. Irgendetwas an diesem Tag war ganz und gar nicht koscher.
„Selma … ist das ein Künstlername?“
„Weiß ich nicht … müssen Sie meine Eltern fragen …“, Bergmann hatte keine Ahnung, ob sie ihn verarschte oder nicht.
„Ich heiße Bergmann, also Bernhard … Bernhard Bergmann …“
„Künstlerfamilie?“
„Nein, gar nicht … wieso?“
„Wegen dem E-A-E-A -Schema … Bernhard Bergmann …“
„Nein, meine Mutter … also, ich bin ein lediges Kind und hieß schon Bernhard vor Bergmann …“
„So was … lediges Kind, am Land“, sagte sie gespielt vorwurfsvoll, was Bergmann nicht registrierte.
„Ja … soll’s geben …“
„Und … haben Sie einen Freund?“
Bergmann biss sich erneut auf die Zunge. Konnte er nicht endlich aufwachen!?
„Was … wieso …“
„Sind Sie nicht schwul?“
„Was geht Sie das an …“, er stand auf, schlüpfte in seine Shorts und zog sich seine Hose an.
„Oh oh … sorry, mein Fehler … ich wollte Sie nicht vor den Kopf stoßen, tut mir leid …“
„Woher wissen Sie das?“, Bergmann schüttelte sein Hemd aus und sah sie an.
„So was spüre ich … habe ich immer schon gekonnt …“
„Ach … meine Vermutung ist eher: ein Mann ohne Ehering, der Ihrem zugegeben sehr attraktiven, kaum verhüllten Körper mehr als fünf Minuten nahe ist und nicht zu sabbern anfängt oder sein Zelt in der Badehose verstecken muss, ist eindeutig vom anderen Ufer …“
„Polizist?“
Bergmann sah ihr ein paar Sekunden in die schalkhaften Augen, dann setzte er sich wieder in den Kies.
„Haben Sie ein Auto?“, fragte er.
„Ja, sicher … wieso?“
„Weil ich aus schicksalhaften Gründen mit dem Bus hier bin und eigentlich zu meinen Eltern müsste … die wohnen aber in Scheutz und …“, Bergmann warf einen Stein in den See, „wenn ich sie anrufe, dann gibt es wieder eine ewige Diskussion, dass mein Stiefvater meiner Mutter das Auto nicht geben will, und er selber kann nicht so schnell kommen, weil er sich irgendeinen Scheißdreck im Fernsehen anschauen muss, das erste Training vom Mattenspringen oder irgend so was Abartiges … ich könnte natürlich auch in ein Hotel, aber … na ja, im Umkreis von zwanzig Kilometern um mein Elternhaus in
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