Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
an Schanden nicht arm war! O Gott, er musste aufstehen, seine Körperkraft gegen diese demolierte und abgründige Psyche stellen, bevor sie ihn zum Sprung aus Schäfers Schlafzimmerfenster zwang. Er rollte sich aus dem Bett, ging ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Kaltes Wasser, bis es wehtat. Mit einem Handtuch um die Hüfte begab er sich in die Küche, setzte den Wasserkocher auf und durchstöberte Schäfers Teevorrat. Kraft & Zuversicht stand in Handschrift auf einem grünen Papierbeutel, der mit indianischen Ornamenten verziert war. Bergmann steckte seine Nase hinein. So scheußlich wie die Kräutermischung roch, konnte sie nur guttun.
Hohlköpfig saß er im Wohnzimmer, schlürfte das bitterminzige Gesöff und blätterte in einer Gratiszeitung der Stadt Wien, die auf dem Esstisch gelegen war. Auf der Seite mit den Veranstaltungstipps hatte Schäfer mit Kugelschreiber einen Kreis um eine Ankündigung gezogen: Liebeswerben oder Blasenschwäche. Die Selbsthilfegruppe Katzenprobleme lädt zum Gedankenaustausch mit dem Katzenflüsterer und staatlich anerkanntem Tierverhaltensenergetiker Edmund Kross. Gemeinsam an Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten herantasten steht im Vordergrund der neuen Wiener Tieraktion. Bergmann las den Text ein zweites und ein drittes Mal und wurde unvermittelt von einem Lachanfall geschüttelt. Bald liefen ihm die Tränen übers Gesicht, er hämmerte mit der Faust auf den Tisch, brüllte vor Lachen; sobald er sich einigermaßen beruhigt hatte, las er die Anzeige noch einmal und prustete erneut heraus. Die Türglocke. Bergmann stand mit schmerzendem Zwerchfell auf, schlüpfte in seine Hose und ging zur Tür. Schäfers Nachbar, der Bergmann verblüfft ansah.
„Herr Bergmann … Guten Morgen … Entschuldigung, ich dachte, dass Johannes zurückgekommen wäre …“
„Herr Wedekind! … Nein, nein … leider, leider“, Bergmann wurde seine nicht kontrollierbare Heiterkeit peinlich, „ich habe nur hier geschlafen wegen … weil ich mich ausgesperrt habe und der Schlüsseldienst … in der Nacht wird das ganz schön teuer …“
„Ach so, ja … möchten Sie mit mir frühstücken?“
Bergmann starrte Wedekind ein paar Sekunden an. Was bedeutete diese Frage?
„Frühstücken?“
„Ja … in Johannes Küche wird nicht viel zu finden sein, nehme ich an …“
„Johannes … Major Schäfer?“
„Geht es Ihnen nicht gut, Herr Bergmann?“
„Ach, doch doch … wir haben gestern eine Feier gehabt, zu meiner … da habe ich offensichtlich ein bisschen zu viel getrunken …“
„Na dann kommen Sie … ich mache Ihnen Rühreier mit Speck …“
„Dann waren Sie gestern Nachmittag auch da?“, rief Wedekind aus der Küche, um das Brutzeln des Specks zu übertönen.
„Gestern? Nein … ein Kollege von mir, Inspektor Schreyer … aber das war auch nicht gestern …“, Bergmann hatte es sich in einem Korbstuhl bequem gemacht und bewunderte das geschmackvolle Interieur.
„Ach … dann vielleicht Isabelle …“
„Die ist in Den Haag … wie kommen Sie darauf, dass jemand in der Wohnung war?“
„Weil ich es gehört habe … jemand hat aufgesperrt … und eine halbe Stunde später wieder zugesperrt …“
Bergmann hievte sich aus dem Korbstuhl und gesellte sich zu Wedekind in die Küche.
„Sie sind nicht hinüber gegangen?“
„Nein, ich habe wen zum Massieren dagehabt … aber da war bestimmt wer drüben, ich habe ja gehört, wie der herumgewerkt hat …“
Bergmann schloss die Augen und knetete mit zwei Fingern seine Nasenwurzel. Kommt schon, Gedanken, vorwärts. Wie ermüdete ägyptische Sklaven einen Steinblock für den Pyramidenbau schleppten seine Neurotransmitter die Impulse weiter, die er aus Wedekinds Information ausfilterte. Er ging zurück in Schäfers Wohnung und holte sein Telefon.
„Heinz … Servus … sag, kannst du mir heute jemanden ausleihen? … Für die Wohnung vom Schäfer … Ich weiß, aber wie es aussieht, hat sich da jemand gestern Zutritt verschafft … Nein, nur Abdrücke, das reicht einstweilen … Warte kurz.“ Bergmann wandte sich an Wedekind: „Sind Sie heute den ganzen Tag zu Hause?“ Wedekind nickte stumm. „Wenn ich nicht mehr da bin, lasse ich den Schlüssel bei seinem Nachbarn … Danke dir.“
Bergmann stieg in den U-Bahn-Waggon, behielt die Sonnenbrille auf, die er aus Schäfers Wohnung mitgenommen hatte. Dieser Tag war so gleißend und grell; zudem wollte er es vermeiden, fremde Blicke aufzufangen. Zugegeben:
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