Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Minuten waren sie vor der ratternden Maschine gestanden, die immer wieder kurz innehielt, als müsste sie verschnaufen, und dann zu einem neuen Durchgang ausholte. Krt, krt, krt … hinter ihnen erst zwei, dann drei, dann vier wartende Kunden, die ebenfalls an die Maschine wollten. Die pausierte abermals, warf einen Fingerbreit Auszüge aus und fing dann zu piepen an, „Papierzufuhr füllen“ stand auf dem Display, und Schäfer ging seelenruhig an den Schalter, während der Erste in der Schlange hinter ihnen schon entnervt den Rückzug antrat. Wieso holen Sie die Auszüge nicht öfter ab, hatte Bergmann gefragt, nachdem sie neben Schäfers taschenbuchdickem Kontoauszugstapel auch einen Buckel voll heimlichen Flüchen aus dem Bankfoyer getragen hatten. Muss ich ja nicht jede Woche erfahren, dass ich kein Geld habe, hatte Schäfer geantwortet, die Auszüge kurz überflogen und in den nächsten Altpapiercontainer geworfen.
„Das muss ich aber mit der Chefin besprechen“, meinte die Rezeptionistin, während sie die Verpackung des Druckerpapiers aufriss und den Schacht füllte.
„Tut mir leid“, sagte Bergmann, „ich habe auch nicht gewusst, dass das so viel ist.“ Krt, krt, krt …
Hundertsechzig Seiten später – inzwischen hatten auch die Farbpatronen aufgegeben – marschierte Bergmann aus dem Hotel; fünfzig Euro leichter und mit der Gewissheit, das Image der Polizei, trotz seines höflichen Dankes im Namen der österreichischen Exekutive, nicht gerade verbessert zu haben. Doch vielleicht war er ja dabei, dem legendären Major Schäfer, Held der Wiener Kriminalpolizei, das Leben zu retten; möglicherweise sogar, ein internationales Terrorkomplott aufzudecken; die österreichische Hauptstadt vor einem verheerenden Bombenanschlag zu bewahren! Wobei zu bezweifeln war, dass er mit Letzterem in den Bundesländern viele Fans gewinnen würde.
Nachdem er die vor seinem Gasthof ausgehängte Speisekarte studiert und keinerlei Lust auf ein kulinarisches Achtziger-Revival bekommen hatte, setzte er sich auf die Terrasse eines passabel wirkenden Italieners und bestellte einen Teller Penne. Einen Veltliner aus der Region dazu, weil er ja quasi auf Urlaub war. Einen Moment überlegte er, mit der Durchsicht der Dokumente zu warten, bis er gegessen hätte. Sich zurückzulehnen und den Gesprächsfetzen der Senioren zu lauschen, die in braunen oder beigefarbenen Komfortschuhen mit rutschfesten Gummisohlen im Stop-and-go-Modus an ihm vorbeiflanierten. Do der Brunnen, schau mol … jo jo … schau’n wir mol … der Simandlbrunnen … Simandl, jo jo … Also doch die Informationen der französischen Untersuchungsrichterin.
Die Bilder, die sie geschickt hatte, ließen für Bergmann keinen Zweifel zu, dass Phillipe Marsant und Jean Plier ein und dieselbe Person waren – zumal auf Selmas Foto nur die Glatze höher gerückt war und ein paar Falten mehr das sonnengegerbte Gesicht durchzogen, die achtzehn Jahre zwischen den Aufnahmen den Mann ansonsten jedoch optisch nicht verändert hatten.
Plier war 1947 in Villefontaine, einem Dorf im Südosten von Lyon, geboren worden. Nach der Schule studierte er Geschichte und Literatur, ab 1971 war er als Lehrer an einem Gymnasium in Lyon, später in Grenoble tätig. Dort dürfte er 1975 bei einem esoterischen Vortrag zum ersten Mal in Kontakt mit Joseph Di Mambro, dem späteren Mitgründer des Sonnentemplerordens, getreten sein. Einfach gesagt war Di Mambro ein Krimineller mit feiner Menschenkenntnis; ein Trickbetrüger, der sich als Psychologe ausgab und seine Opfer mittels dubioser Therapien und Versprechen um ihr Geld brachte. 1974 gründete er in Annemasse nahe der Schweizer Grenze ein „Zentrum für die Vorbereitung des Neuen Zeitalters“ und überzeugte die Mitglieder, dass eine gottnahe Ebene der Selbstversenkung nur möglich wäre, indem sie sich ihrer irdischen Güter entledigten. 1976 war Di Mambro schwerreich und residierte in einer Fünfzehn-Zimmer-Villa. Als ihm die Behörden, in erster Reihe das Finanzamt, in die Quere kamen, verlagerte er seine Aktivitäten vorübergehend in die Schweiz. Noch im selben Jahr gründete er in Genf die „Foundation Golden Way“, eine religiöse Bewegung, die ihre Lehren aus dem New Age, der Ufo-Mythologie und dem Urchristentum speiste und in kurzer Zeit über hundert Anhänger hatte. 1981 begegnete Di Mambro Luc Jouret, einem belgischen Arzt, der selbst spirituell veranlagt war und als Großmeister eines Neo-Templerordens fungierte. In
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