Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Haderer
Vom Netzwerk:
Schüler zu diesem Zeitpunkt allerdings keine Ahnung. Die Zwillinge fehlten, hatten wahrscheinlich die Masern, Röteln oder irgend so einen Scheiß, weil Zwillinge ja immer alles gemeinsam machen mussten. Erst ein paar Wochen, nachdem die beiden wieder in der Schule waren, wurde das ganze tragisch-komische Ausmaß dieser Bergtour bekannt. Nachdem nämlich die Apokalypse wieder einmal verpennt hatte, beschlossen die Auserwählten, noch einen Tag abzuwarten; falls der neuzeitliche Kalender und die Zeitdrehung aufgrund der Polverschiebung und so weiter, jedenfalls hatten sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass vielleicht doch noch die Sintflut oder der Feuerregen oder die Engelsschwerter bald alles in Schutt und Asche legen würden. Im Laufe des zweiten Tages gab es dann die ersten Unstimmigkeiten im Team der Apokalyptiker: Proviant hatten sie verständlicherweise keinen mitgenommen, die weißen Leinenkleider wurden vom rauen Raxwetter gnadenlos verhöhnt und um die sanitäre Situation stand es auch nicht zum Besten. Alles Scheiße, sagten sich also die ersten Meuterer und entschieden, in die Zivilisation zurückzukehren. Die Eltern der beiden Zwillinge schlossen sich ihnen an. Während des Abstiegs wurde es dunkel, eins der Mädchen stolperte und brach sich den Knöchel. Wie dieses Malheur interpretiert worden war – ob als Strafe Gottes, Minimalapokalypse oder was auch immer –, hatte Bergmann nie erfahren. In einem letzten Akt kollektiver Selbstverleugnung behauptete die Sekte noch, dass es ihre innigen Gebete waren, die den Untergang abgewendet hätten, und löste sich bald darauf auf. Und die beiden Mädchen: die hatten es von da an in der Schule auch nicht leichter.
    Bergmann aß brav fertig, damit am nächsten Tag abermals schönes Wetter war, schob den Teller weg und widmete sich wieder den Sonnentemplern. Jetzt wurde es blutig. Am 5. Oktober 1994 setzten Di Mambro und Jouret ihren Plan zur kollektiven Himmelsfahrt in die Tat um. In Cheiry in der Schweiz kam es zu Massenselbstmorden beziehungsweise -tötungen mit dreiundfünfzig Opfern, eingeschlossen Jean Plier und die beiden Ordensführer. Einige der Toten hatten Plastiksäcke über dem Kopf, die um den Hals mit einer Schnur oder mit Klebeband zugedreht waren, andere waren an den Händen gefesselt. Zahlreiche Schusswunden, Einstiche und Gifte in den Leichen ließen keinen Zweifel daran, dass die wenigsten der Opfer freiwillig in den Tod gegangen waren. Um dies vorzutäuschen – „dass wir unseren Transit bei vollem Bewusstsein und ohne jeden Fanatismus geplant haben, der in keiner Weise ein Selbstmord im menschlichen Sinne des Wortes ist“ –, hatten Di Mambro und Jouret Zeitschalter an Heizgeräte angeschlossen, die durch einen Brand alle Spuren vernichten sollten, was jedoch großteils misslang. In einer Abschiedsbotschaft, die an einen Schweizer Sektenexperten ging, begründeten die Ordensführer ihre Tat mit „einem von der Großen Weißen Loge des Sirius erlassenen Dekret“. Man habe sich entschlossen, „freiwillig alle Heiligtümer der Geheimen Häuser zum Bersten zu bringen, damit sie nicht profaniert werden können durch Betrüger und Unwissende“.
    Was sollte man davon halten? Wie anders reagieren als Bergmann, der nun, inmitten der malerischen Altstadt von Krems, verstört den Kopf schüttelte und zu seinem Weinglas griff. Freilich, er hatte mitbekommen, dass solche Massentötungen und -selbstmorde vorgefallen waren – Waco, Texas, David Koresh und seine Davidianer, über achtzig Tote, darunter auch zahlreiche Kinder. Jonestown in Guyana, fast tausend Tote. Doch das waren die Spinner aus den Vereinigten Staaten. Die hatten – warum auch immer – den Großteil aller Serienmörder unter Vertrag; die horteten vollautomatische Waffen in ihren Garagen und Survivalbunkern; die glaubten, dass Gott ihnen neben Jesus auch die exklusive Nutzung der Atombombe zugesichert hatte. Aber mitten in Europa? In der Schweiz … das war ziemlich nahe an Österreich, wo einzig die lachhafte Fiat-Lux-Sekte in den Neunzigern vom Weltuntergang geträumt hatte, ihn mangels Eintreffen jedoch immer wieder verschieben musste und sich in der Zwischenzeit mit dem Heilwasser von Uriella ins Krankenhaus trank, weil jenes direkt aus der Badewanne der Sektenmutter stammte und statt heilsamer Energie voll von Kolibakterien war. Uriella, Wahnsinn. Bergmann winkte erst dem Kellner ab, der ihn gestisch nach Nachfüllung seine Glases fragte, und rief ihn dann zurück. Das

Weitere Kostenlose Bücher