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Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Haderer
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alles, das war doch nüchtern nicht auszuhalten.
    Offiziell war Jean Plier also tot. Verstorben am 5. Oktober 1994; unter nicht näher bekannten Umständen, da seine Leiche zu denen gehört hatte, die entsprechend Di Mambros Plan vollständig dem Feuer zum Opfer gefallen waren; bis auf die Fingerknochen in der Asche, anhand deren DNS die Forensiker den Geschichte- und Literaturprofessor Jean Plier zu den Toten des Massakers von Fribourg zählten. Ein Finger als Beweis?, zweifelte Bergmann an der Kompetenz der damaligen Ermittler. Andererseits: dreiundfünfzig Tote allein in der Schweiz, darunter zahlreiche Prominente, sogar ein französischer Bürgermeister nebst Gattin … er sah das Szenario förmlich vor sich: eine Pressekonferenz nach der anderen, einflussreiche Angehörige, die ihre Verstorbenen so schnell wie möglich bestattet sehen wollten, Politiker, die mit den zu Tode Gekommenen in enger Verbindung gestanden waren, Testaments- und Erbschaftsstreitigkeiten, Zuständigkeitsquerelen zwischen den französischen und den Schweizer Behörden … Halleluja.
    Bergmann bestellte die Rechnung, bezahlte und ging zu seiner Pension. Kopf und Bauch: vollgefressen, dazu leicht angetrunken. Er zog sich aus und legte sich ins Bett. In Wien würde er bestimmt noch einen Kurzbericht verfassen, vielleicht Lorenz vom BVT anrufen, beraten, ob man Plier zur Fahndung ausschreiben könnte, die neuen Informationen an die Innenseite seines Schranks schreiben, überlegen, spekulieren, und um Mitternacht wach sein wie eine Fledermaus auf Kokain. Dabei schien ihm der Beginn dieses Tages – der Morgen, was hatte er da überhaupt getan? – ohnehin schon ewig entfernt. Jetzt schläfst du erst einmal, sagte er sich, sammelst neue Energien, die brauchst du morgen. Er rollte sich auf die Seite und schloss die Augen. Als das Telefon läutete.
    „Bergmann.“
    „Bernhard … die Abdrücke, die du mir heute geschickt hast … die passen zu denen aus Schäfers Wohnung … da war dieser Plier drinnen …“
    „Sicher?“
    „Sehr lustig.“
    „Okay, danke dir … gute Nacht …“, Bergmann legte das Handy weg und schloss erneut die Augen. Den Atem fließen spüren, begann er seine autogene Einschlafübung, deine Arme sind schwer, deine Beine sind schwer, dein ganzer Körper ist schwer, du bist müde, müde, müde … verdammt noch einmal, er brauchte seinen Schlaf!

32.
    Die Amsel singt anders am Land. Sie hat sich nicht gegen die Herrschaft des Lärms zu behaupten, kann sich mehr auf ihre Stimme und die Melodie konzentrieren. Nie würde es ihr einfallen, bis zur Heiserkeit eine Autoalarmanlage oder einen vulgären Klingelton zu imitieren, wie es Bergmann in seiner Wohnung in Wien schon erlebt hatte. Die Amsel, die jetzt auf dem Wipfel der Birke vor seinem Hotelfenster ihr Lied darbot, war so unverdorben wie anspruchsvoll. Erst stimmte sie sich mit ein paar einfachen und kurzen Tonfolgen ein. Dann wurden die Pausen immer kürzer, immer seltener, die Akkorde schneller, der Vogel jagte im Crescendo die Tonleiter hinauf, als wolle er die Scheiben der umliegenden Häuser zerspringen lassen. Bergmann stand auf und ging zum Fenster. Wenn sich die Reinkarnation nicht um Artenzugehörigkeit kümmerte, saß dort Jimi Hendrix im Baum, kein Zweifel. Fünf Uhr, wummerte es aus dem Kirchturm, die Amsel hielt inne und ergriff die Flucht. Bergmann legte sich zurück aufs Bett und starrte an die Decke. Welche Reinkarnation die Sonnentempler wohl ihm zugedacht hätten. Don Quichotte vielleicht – der den armen Sancho Pansa mit seinen Launen und Taten so sehr gequält hatte, dass er nun, hunderte Jahre später, als Gefolgsmann von Major Schäfer dessen Irrsinn zu ertragen hatte. Dazu der Kampf gegen Windmühlen, der vergleichsweise oft genug auf ihre Arbeit zutraf; und die Liebe? Ohne die der fahrende Ritter ein Baum ohne Blätter und Frucht, ein Körper ohne Seele wäre, wie Don Quichotte gemeint hatte. Die zerbrach nicht mehr an der Unerreichbarkeit ihrer Ideale – dafür waren sie mittlerweile erfahren genug –, doch vermutlich an der Umrüstung ihrer Gefühle, die sie gleich den Kevlarwesten über ihren Herzen vor der alltäglichen Gewalt in ihrem Beruf beschützen sollte, im Gegensatz zu diesen jedoch nicht nach Belieben abgenommen werden konnte. Was war der Ausweg? Emotionslos und zynisch zu werden? Medikamente in sich hineinzustopfen? Kurz vor dem eigenen Untergang alles hinzuschmeißen und zu verschwinden? Damit würde sich doch auch nicht

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