Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
… in der Söhne ihre eigenen Eltern ermorden, Männer ihre Frauen und Kinder … welches Recht hat diese Gesellschaft, Aufträge zu erteilen?“
„Herr Tannhäuser, das sind rhetorische Scharmützel … wissen Sie, wo Major Schäfer ist? Was mit ihm passiert ist?“
„Nein … in diesem Punkt kann ich Ihnen leider nicht helfen … beten Sie und lesen Sie die Bibel … die Offenbarung des Johannes“, Tannhäuser lachte, „doch ich gehe davon aus, dass es ihm gut geht …“
„Warum?“
„Er ist stark … und nicht zuletzt halten die Engel ihre schützenden Hände über ihn …“
Bergmann stand auf, ging um den Tisch herum und stellte sich dicht hinter Tannhäuser. Mit einem schnellen Griff packte er das Lederband und drehte es einmal um die Hand. Nach ein paar Sekunden ließ er los und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass der wachhabende Beamte den Monitor für ein paar Sekunden aus den Augen verliert, ist sehr hoch“, sagte Bergmann ruhig, während Tannhäuser ihn zitternd und keuchend anstarrte. „Und Gott hat auch nicht immer Zeit, auf Sie zu schauen … vielleicht beauftragt er ja sogar demnächst mich, Sie in die Hölle zu schicken … dann wird dieses Halsband zum Werkzeug seines Zorns, Halleluja …“
Die Tür ging auf und ein Wachebeamter betrat den Raum. Er stemmte die Hände in die Hüften und räusperte sich.
„In die Hölle wollen Sie mich schicken?“, Tannhäuser hustete und fing dann zu lachen an, „was glauben Sie denn, wo wir sind, Herr Bergmann? Das hier ist nur der verzweifelte Versuch, ein paar Mauern drumherum zu bauen … längst schon sind wir in der Hölle … das haben Sie nur noch nicht begriffen … anders als Ihr Major … möge Gott ihn schützen und Ihnen den rechten Weg zu ihm weisen!“
Mit geschlossenen Augen saß er im Auto und versuchte, der Wut Herr zu werden, die er auf sich selbst empfand. Er hatte komplett versagt. Sich aus der Fassung bringen lassen, von diesem Arschloch. Dieses Johannes-Getue. Wie offensichtlich. Und er hatte es geglaubt, hatte sich davon kränken lassen, von diesem Wahnsinnigen. Und ihm dann auch noch das Geschenk gemacht, ihn zu würgen und zu bedrohen. Im Lehrbuch stünde das beispielhaft in der So-nicht-Spalte. Was es noch schlimmer machte: Er war sich ziemlich sicher, dass Tannhäuser ihm helfen könnte. Wenn er sich nicht selbst so dilettantisch aus dem Spiel genommen hätte. Warum hatte er nicht Bruckner oder Pürstl um Hilfe gebeten. Die waren ihm nicht nur an Erfahrung, sondern auch im Umgang mit Typen wie Tannhäuser überlegen. Warum hatte er das Gespräch nicht einmal aufgenommen, um es ihnen vorspielen zu können! Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Er hatte eben erst die Donau überquert und befand sich kurz vor dem Zubringer zur Schnellstraße, als er beschloss, nicht nach Wien zurückzufahren, sondern in Krems zu übernachten. Im Kofferraum hatte er ein zweites Paar Laufschuhe, eine Trainingshose und ein Laufshirt. Er kannte die Gegend gut, zumal er in seiner Kindheit und Jugend mit seinen Eltern oder Großeltern zahlreiche Ausflüge zu den Klassikern der Wachau unternommen hatte. Am Fluss entlanglaufen, oder nach Dürnstein hinauf, oder durch die weitläufigen Marillengärten, am Abend im Freien in der Altstadt sitzen – ein paar Stunden in dieser dreidimensionalen Postkarte würden ihn dem Alltag hoffentlich so weit entrücken, dass er sich nicht mehr fühlen würde wie ein Stück Dreck.
Die ersten drei Hotels, die er aufsuchte, waren voll belegt; erst in einem Wirtshaus, das über sechs Gästezimmer verfügte, hatte er Glück. Glück? Als er das Zimmer betrat, haderte er wieder einmal mit seiner Sparsamkeit. Für eine Nacht – da hätte ich mir ruhig das Parkhotel leisten können, sagte er sich angesichts des schmalen Einzelbetts, mit dem er sofort die Rundreisen schlecht bezahlter Vertreter in Verbindung brachte. Minibar? Ha ha. Fernseher? Fehlanzeige. Er zog sich um, verließ die Pension und lief Richtung Fluss. Entgegen seinen Gewohnheiten sah er nicht auf seine Uhr oder stellte den Alarm, um nach einer bestimmten Halbzeit umzukehren. Es trieb ihn dahin, er ließ sich gehen, und als er auf einer Anhöhe im Schatten einer Kastanie rastete und erschöpft auf die sich durch die sanfte Hügellandschaft windende Donau blickte, wurde ihm bewusst, dass er für den Rückweg kaum mehr Energie aufbringen konnte.
Dann werde ich zur Burg hinüberlaufen, mir ein Taxi rufen und für die fünfzehn
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