Engelsberg
Bürste wollte er aber trotzdem lieber behalten und steckte sie flugs in den großen roten Rucksack, mit dem er auf dem Markt immer einkaufen gegangen war. In jedem der verwaisten Zimmer, durch das er kam, steckte er etwas in den Rucksack: Leonardos alte Uhr, verschiedene Silbermünzen, ein paar Talglichter, etliche Hosenträger, sechs Flaschen Wein, ein in der Vorhalle umherflatterndes Huhn, das große Küchenmesser und sogar ein junges Schwein, das Don Cándido für das Jahresende mästen ließ, wenn sie auf dem Lande Weihnachten feiern würden. Als Letztes schnappte sich Dionisios mit gezierter Lässigkeit einen hohen Zylinderhut, den jemand auf einem Stuhl hatte liegen lassen, und trat hinaus auf die Straße.
Er wollte die Flucht versuchen, wo die Stadtmauer am wenigstens bewacht war, und schlug darum den Weg zu den armen, nur von Schwarzen und Mulatten bewohnten Vierteln ein. Dort war es schließlich, wo ihn nach stundenlangem Umherirren, als er beim Überqueren einer Straße schon fast bis an die Knie im Schlamm versank, ein Rhythmus überraschte und gefangen nahm. Eine solche Musik hatte der Sklave noch nie gehört. Sie weckte die geheimsten Sehnsüchte und zwang, ihr zu lauschen und zu gehorchen. Ohne dass Dionisios wusste, was er tat, bahnte er sich mit seinem Rucksack einen Weg durch das Menschengewühl und trat ein in den Salon, wo José Dolores Pimienta, sein ihm unbekannter Sohn, immer noch Klarinette spielte.
Kapitel 12 Das Duell
Auf dem Ball im Hause Mercedes Ayalas ging es so ausgelassen und beschwingt zu, dass der große, im viel zu engen grünen Anzug steckende Schwarze mit bis an die Schenkel reichenden Reitstiefeln, goldenen Sporen, Zylinderhut und einem riesigen roten Rucksack, in dem wütend ein Schwein grunzte und ein Huhn gackerte, nicht weiter auffiel.
Bei einem Blitz erblickte Dionisios Cecilia Valdés, wie sie mit Leonardo Gamboa tanzte, und ein seit vielen Jahren in ihm schlummernder Hass brach auf. Ohne daran zu denken, dass er auf der Flucht war, näherte er sich dem Paar.
»Daff ich Se um diesm Tanz bittn?«, sagte er zu der jungen Frau und tippte ihr dabei auf die Schulter.
Leonardo und Cecilia waren von dieser merkwürdigen Gestalt überrascht. Es war die junge Frau, die reagierte.
»Tut mir leid. Aber sehen Sie nicht, dass ich diesem Herrn versprochen bin?«
»Lüge!«, schrie Dionisios. »Se wolln nich mit mir tanzn, weil ich Neger bin. Aber damit Se wissn: Se sind genauso ne Schwarze!«
»Was habe ich Ihnen getan, dass Sie mich so beleidigen?«, empörte sich Cecilia.
»Mehr als Se glaubn. Ihrtwegn musst ich meine Frau untreu sein und bin seit achtzn Jahrn ohne se.«
Bei diesen Worten sah Leonardo Cecilia erschrocken an. »Ich kenne ihn nicht einmal. Der Mann ist verrückt«, sagte Cecilia an Leonardo gewandt.
»Verrückt is Ihre Mutter! Und zwa durch Ihre Schuld!«, schrie der schwarze Koch.
»Nein, Sie sind verrückt!«, schrie da Cecilia so laut, dass José Dolores Pimienta schließlich aufhörte, Klarinette zu spielen. Was genügte, um das gesamte Orchester und damit auch die Tanzenden innehalten zu lassen.
»Hören Sie, mehr Respekt vor der Señorita gefälligst«, fand nun auch Leonardo Gamboa die Sprache wieder, der verwirrt und verängstigt den Koch nicht erkannte.
In diesem Moment stieß das Schwein, das in dem Rucksack höchst unbequem reiste, ein solches Grunzen aus, dass Gamboa vor Schreck und im Glauben, der Neger sei der leibhaftige Teufel, zurückwich, etliche Leute beiseitestieß und die Flucht ergriff. Von Weitem rief er Cecilia Valdés noch zu: »Vergiss nicht, dass ich dich morgen sehen will!«
»Nun müssn Se wähln«, sagte Dionisios, »zwischen nen Feigling und nen armen Schlucker.«
»Sie irren sich!«, rief Cecilia. »Er ist kein Feigling!«
»Ich irr mich nich. Alle sind se hier Feiglinge! Wanzngeschmeiß, einer wie der andre!«
Und bei diesen letzten Worten sah sich Dionisios herausfordernd in der Menge um.
»Der Feigling sind Sie, dass Sie eine Señorita beleidigen!«, stieß José Dolores Pimienta hervor, der bereit war, Cecilia zu beweisen, dass er mutiger war als Leonardo.
»Wanzngeschmeiß!«, war Dionisios’ Antwort. »Komm mit raus und lern mein Messer kenn!«
José Dolores hätte das Blut besagten Getiers haben müssen, um Dionisios’ Herausforderung die Antwort schuldig zu bleiben. Gefolgt von der gut gelaunten Menge, die in sicherer Entfernung blieb, gingen Vater und Sohn auf die Straße.
»Wams, lass den Mann raus!«,
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