Engelsberg
schrie José Dolores, Dionisios wegen seiner engen Kleidung verspottend.
»Wir werden ja sehen, wer hier wen rauslässt«, gab Dionisios zurück. Und als er den Rucksack öffnete, um das Messer hervorzuholen, flatterte das Huhn heraus, direkt gegen die Brust Cecilia Valdés’, die einen Schrei ausstieß und ohnmächtig niedersank.
Cecilia musste aber selber sehen, wie sie wieder zu sich kam, denn die beiden Männer kämpften bereits in einem Duell auf Leben und Tod. Mit dem Hut als Schild in der Linken sprangen sie beide mal aufeinander zu, mal zurück und stießen dabei mit dem Dolch in die Luft.
»Hurra!«, schrie die Menge, verschanzt hinter den Tilburys und sogar auf dem Dach, bei jeder Attacke der Kontrahenten (egal, welcher der beiden gerade vorsprang). Zudem ließ das Fehlen von Straßenlaternen völlig im Dunkeln, wer in diesem Schlagabtausch wen verwundete. Doch Dionisios fehlte es an der Gewandtheit und Jugend des Mulatten, und obendrein schränkte der gewaltige Rucksack, den er nicht ablegen wollte, seine Bewegungsfreiheit ein. Schon bald war das Geräusch zerreißenden Stoffs zu hören, gefolgt von einem Schmerzensschrei.
»Hurra!«, schrien alle noch einmal, ohne zu wissen, wen es erwischt hatte.
Es war Dionisios, der zu Boden ging, auf den Rücken fiel und endlich den roten Rucksack abwarf, aus dem im vollen Galopp das Schwein entwischte.
»Bist du verletzt?«, fragte Cecilia Valdés das zwischen ihren Beinen hindurchschlüpfende Schwein im Glauben, es sei José Dolores.
»Nicht eine Schramme«, antwortete der aus dem Dunkel auftauchende Mulatte. »Nicht der geringste Kratzer«, fügte er noch stolzer hinzu, als er den Kopf der Frau, die er so heiß liebte, an seinem Herzen lehnen spürte.
So standen sie nur einen Augenblick. Denn schon war in der Menschenmenge ein neuer Schrei zu hören.
»Nichts wie weg, da kommt Tondá!«
Und alle, sogar der tödlich Verwundete, ergriffen die Flucht, als der schmucke schwarze Hauptmann, zu Pferde und mit Säbel und Epauletten, am Ort des Geschehens auftauchte.
Kapitel 13 Von der Liebe
José Dolores Pimienta würde auf der Klarinette spielen, und sie, Cecilia, für ihn singen und tanzen. José Dolores Pimienta würde, müde vom Nähen so vieler fremder Anzüge, in der Abenddämmerung nach Hause kommen, doch sie, Cecilia, ganz in Weiß, im Haar eine Blume, würde in der Tür stehen und ihn erwarten. Wo würde das Haus stehen? Auf den Hügeln von Belén? Zwischen den Bäumen vor den Toren der Stadt? An einer Bucht in Manglar? Oder nahe dem offenen Meer, an das sie sich des Nachts setzen würden? Eine Liebe, eine große Liebe musste für ihn, José Dolores Pimienta, ein Trost, eine stille Zweisamkeit sein, ein kleiner, bescheidener, magischer Raum, frei von dem Schrecken und den Erniedrigungen um ihn herum. Weil eine große Liebe, sagte er sich, ausgehen musste von einem Gleichgewicht zwischen den Gefühlen zweier Menschen, die in einer selben Erstarrung verharrten, geächtet von einer selben Welt, gebrandmarkt von einem ungerechten Fluch, Gefühlen, die Komplizen und mithin Feinde einer selben Geschichte wären.
Ein Fest, ein Spaziergang am Strand, eine Plauderrunde mit Freunden. Und sie beide stets scheinbar den anderen nah, doch unerreichbar und unverwundbar, unlöslich verbunden, zu zweit selbst inmitten der Menge, an jenem Ort weilend, den zu betreten nur den Liebenden vergönnt ist. Eine Liebe, eine große Liebe, was war sie, wenn nicht die Wonne, die man in jeder mit dem geliebten Menschen geteilten Minute auskosten, zur Ruhe bringen oder wiederholen konnte? Das Glück, sich gemeinsam an den Tisch zu setzen, die Freude, am Leben zu sein und sich zu umarmen, die Lust, einer im anderen zu leben. Weil eine Liebe, gerade wenn sie groß ist, nur kleine Ansprüche und erfüllbare Sehnsüchte hegt. Was kümmerte sie die Welt mit ihrem Ehrgeiz und Wahnsinn, den Palästen, Juwelen und Reisen, wenn sie sich des märchenhaften Schatzes einer einzigen, erwiderten Zuneigung erfreuen können würden. Nichts käme dem Reichtum und der Erfüllung gleich, einander zu überfluten, zu erforschen und zu ergänzen.
Kinder würden kommen, Enkel; sie würden alt werden. Sie würden sich daran erinnern (und immer wieder erzählen), wie sie sich kennenlernten, wie es war, als sie sich das erste Mal liebten. So würde es immer bleiben, selbst mit ihren Blicken würden sie einander beistehen. Weil eine Liebe, eine große Liebe nicht nur ein Abenteuer sein konnte, sie musste
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