Engelsberg
Montalvo hat erzählt, dass ihre Tante, die Comtesse Merlin, heute auf den Prado gehen will.«
»Die ›Französin‹?«, erkundigte sich Isabel etwas beunruhigt.
»Ja, die«, antwortete Antonia. »Sie soll die schönsten Haare der Welt haben.«
»Dann gehe ich Leonardo wecken«, sagte Adela, Don Cándidos jüngste Tochter, für die ihr Bruder eine besondere Zuneigung empfand. »Sein Freund, Graf O’Reilly, hat uns versprochen, uns der Comtesse vorzustellen.«
Adela raffte mit beiden Händen ihr langes Kleid und eilte, so schnell es eben ging, die Treppe hinauf.
»Kind!«, rief Doña Rosa. »Sieh dich vor!«
Doch Adela war schon im Zimmer des jungen Mannes verschwunden, wo sie sofort die Tür zusperrte.
Kapitel 15 Eine Tilburyausfahrt
Um Punkt vier Uhr nachmittags, exakt gemessen nach dem wanduhrgroßen Chronometer, das Isabel auf der Brust trug, fuhren die vier jungen Damen aus. Ihrer hochherrschaftlichen Kalesche folgten im offenen Tilbury Leonardo und Ernesto O’Reilly, auf dessen Jackett das imposante Kreuz von Calatraba glänzte.
Die Spazierfahrt nahm ihren Anfang in der Calle de la Muralla, wo die Kutschen vor den luxuriösesten Handelsniederlassungen hielten und die jungen Damen, ohne aussteigen zu müssen, ein paar Weihnachtseinkäufe tätigen konnten.
Ein Stück weiter begegneten ihnen die Unannehmlichkeiten des dichten Verkehrs, der auf der wichtigsten Geschäftsstraße der Kolonialmetropole zu dieser Stunde herrschte. Schwere, von Ochsen gezogene Karren kamen ihnen entgegen, beladen mit Zucker, Kaffee, Speck, Wein und tausenderlei anderen Produkten, deren Gerüche, vermengt mit denen der Tiere und ihrer Notdurft, den Damen empfindlich in der Nase stachen. Sie wedelten mit ihren Fächern, um diesen pestilenzialischen Gestank zu vertreiben, doch vergebens.
Damit nicht genug, fuhr eine Kalesche, gelenkt von einem jungen, unerfahrenen Kutscher, dem Tilbury der Herren in die Seite. Augenblicklich entfachten die beiden Kutscher einen wilden Streit, wobei halb spanische und afrikanische Brocken hin und her flogen und in der bereits verstopften Straße immer lauter widerhallten.
Ungehört blieben die Rufe der jungen Damen und der Befehl zum Weiterfahren der Herren. Die Kutscher stiegen schließlich von ihren Pferden, zogen lange Messer, die sie unter ihrem Wams verwahrt hatten, und gingen, zu allem entschlossen, aufeinander los.
Mitten auf der Calle de la Muralla kam es zu einem solchen Auflauf, dass er den Verkehr auf ihr in ganzer Länge zum Stehen brachte. Die jungen Damen schwenkten wütend ihre Fächer, und Leonardo stieß heftig seinen Spazierstock in die Luft. Das in den Kutschen, auf den Balkonen und direkt auf der Straße stehende Publikum schrie »Bravo« und »Gib’s ihm«. Am Ende wurden die Streithähne durch eine Fügung des Schicksals beide gleichzeitig tödlich verwundet, wodurch ihre Passagiere die Fahrt fortsetzen konnten.
Es war Isabel Ilincheta, die beim Tilbury der Damen zur größeren Sicherheit die Zügel selbst in die Hand nahm, auch wenn sie dabei (das sei der Gerechtigkeit halber gesagt) nach Frauenart, beide Beine auf einer Seite, auf dem Pferd saß; während Graf O’Reilly den Tilbury der Herren lenkte.
Als sie jedoch die Puerta de la Tenaza erreichten, eines der fünf Tore, die Havanna über Zugbrücken mit der Außenwelt verbanden, drängte sich ein großer Haufe von Schwarzen, Mulatten und Weißen, eleganten Damen sogar, gegen das Brückengeländer und schaute hinab in den Wassergraben.
Dort unten im Wasser traktierten sich mit Fußtritten der Mulatte Polanco und der Neger Tondá, beide splitterfasernackt. So wie Gott sie erschaffen hatte, oder wie man in ihrem Herkunftsland lebte, stukten sie sich, drehten sich unter Wasser weg und versuchten, wenn sie wieder auftauchten, dem anderen mit mörderischen Tritten den Garaus zu machen.
Das nannte sich »Duell der Krokodile« und endete gewöhnlich damit, dass einer der Zweikämpfer im trüben Nass das Zeitliche segnete.
Sei es, um besser das Hin und Her, Auf und Ab der Wasserschlacht verfolgen zu können, oder aber, um die nackten athletischen Körper zu betrachten, jedenfalls stiegen die vier jungen Damen – ein für die damalige Zeit unerhörter Vorgang – aus ihrer Kalesche, beugten sich gefährlich über das Geländer des Gehwegs und beobachteten aufmerksam. Selbiges taten die beiden Herren, die, um die Señoritas zu beschützen oder um ebenfalls Maulaffen feilzuhalten, sich dem Haufen
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