Engelsblut
verdattert.
»Normalerweise Oksana kocht immer, wenn Gäste da. Aber wir selbst in Urlaub hier – also wir laden dich ein in unser Hotel.«
Horndeich fühlte sich, als wäre er auf einem privaten Trip zu alten Freunden. Die Gastlichtkeit, die er auch mit Anna in Russland jedes Mal erfahren hatte, machte ihn immer noch etwas verlegen.
Wlad bot Horndeich an, sich im Hotel erst etwas frisch zu machen. Was dieser gern annahm.
Er hatte ein opulent ausgestattetes Einzelzimmer.
Nach der Dusche und in frischen Klamotten zauberte Horndeich in Wlads Zimmer ein paar Gastgeschenke aus einer Tüte: einen Reiseführer auf Englisch über Frankfurt/Oder, den er zufällig in Warschau in einem Zeitschriftenladen gesehen hatte. Für Wlad eine Flasche Whisky und für die Kids ein Kilo Haribo-Schleckereien. Die Kinder sah er zum ersten Mal. Sascha, der Junge, war zehn, seine Schwester Galina schon zwölf Jahre alt. Beide sprachen schon ein paar Brocken Englisch.
»Wir haben Termin in Klinik um sechs Uhr. Zeit, gut zu essen«, verkündete Wlad. Das Hotel lag direkt am Strand, ebenso das Restaurant. Sie saßen dort mehr als zwei Stunden, und Horndeich genoss Fisch, Wind, Sonne und Seeluft.
Um fünf Uhr fuhr Wlad mit Horndeich zur Klinik Perfect Surrogate . Es war viel Verkehr, immer wieder standen sie für ein paar Minuten in kleinen Staus.
»Wlad, danke, dass du das hier mit mir machst. Ich weiß, du hast Urlaub.«
Wladimir lachte. »Alles in Ordnung. Ist auch Abenteuer. Ganze Tag Strand, Sonne, Familie – kleines Abenteuer gut!«
»Wie hast du es geschafft, dass ich mit denen sprechen kann?«
»Ah, kein Problem. Der Cousin von meine Frau hat Frau, die hat – wie heißt Frau von Bruder?«
»Schwägerin.«
»Ja. So was. Ist alles Familie. Du sprichst mit Chefin. Und kommt auch Isabella. Sie macht – Deutsch-Russisch.«
»Sie übersetzt. Wunderbar«, sagte Horndeich.
Sie erreichten die Klinik, ein imposantes, geschwungenes Gebäude mit Marmorverkleidung. Schmuddelig war anders.
Wlad parkte den VW auf dem Parkplatz.
Obwohl es Sonntag war, war die Rezeption besetzt. Auch die großzügige Empfangshalle war mit Marmor verkleidet.
Wlad sprach mit einer der beiden Damen, die hinter der Empfangstheke saßen. Dann führte er Horndeich in den Wartebereich. »Wir müssen warten paar Minuten.«
Der Wartebereich war mit Ledersesseln und -sofas an Rauchglastischen ausgestattet. Englische und deutsche Illustrierte im Zeitungsständer zeugten von der Herkunft der Klientel.
Fünf Minuten später kam eine junge Frau in dunklem Hosenanzug auf die Männer zu. »Guten Tag, mein Name ist Isabella. Ich werde für Sie übersetzen.« Sie strahlte ein Zahnpastalächeln und reichte Horndeich die Hand.
»Sehr angenehm, Steffen Horndeich.«
»Ich weiß, Sie sind ein guter Freund von Wladimir. Es freut mich, Sie kennenzulernen.«
Guter Freund – nun, so hätte es Horndeich nicht gerade bezeichnet. Aber er wollte das jetzt nicht vertiefen. Isabella sprach auf jeden Fall fast akzentfrei deutsch. Sie wechselte ein paar Worte mit Wlad auf Russisch.
Keine zwei Minuten später kam eine weitere Frau den Gang entlang direkt auf die kleine Gruppe im Wartebereich zu. Sie war etwas älter als Isabella, ebenfalls eine schlanke Gestalt, mit dunklem, langem Haar. Sie trug ein graues Businesskostüm und hochhackige Schuhe.
»Das ist Dr. Jewgenia Sukolowa, die Direktorin«, flüsterte Isabella.
Isabella stellte alle einander vor.
»Sehr angenehm, Sie zu treffen«, sagte Frau Dr. Sukolowa, was Isabella direkt übersetzte.
Die Direktorin führte die kleine Gruppe in ein Büro im dritten Stock. Das Fenster darin reichte von der Decke bis zum Boden und gab den Blick auf das Meer frei. Dr. Sukolowa betätigte einen Schalter, woraufhin die Jalousie etwas herabsank, die Lamellen veränderten ihren Winkel. Für angenehme Raumtemperatur sorgte eine Klimaanlage.
Auch die Sitzgruppe in diesem Raum war aus Leder und deutete in keiner Weise darauf hin, dass man sich hier in einer medizinischen Einrichtung befand. Nach dem Austausch von ein paar Höflichkeiten, während derer sich Horndeich auch ausdrücklich dafür bedankte, dass man bereit war, mit ihm zu sprechen, stellte er seine Fragen, die von Isabella genau wie die Antworten der Direktorin direkt übersetzt wurden.
»Frau Dr. Sukolowa, ich habe ein paar Fragen zu Nadeschda Pirownika, die bei Ihnen unter Vertrag war. Es geht um ein Verbrechen in Deutschland, in Darmstadt. Wir müssten dringend mit ihr
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