Engelsblut
Steuerberaterin, die für eine bestimmte Leistung ein bestimmtes Entgelt bekam. Er konnte sich nicht helfen: Für ihn fühlte sich das an wie Prostitution. War das auch nur eine Dienstleistung?
Margot war auf die Rosenhöhe gegangen. Ihre Augen waren rot geschwollen. Seit Nick weg war, hatten sich ihre Augen immer wieder mit Tränen gefüllt. Zu Hause hatte sie dann endlich die Trümmer des Druckers weggeräumt.
Der Darmstädter Park war immer ihr Refugium gewesen. Besonders der Bereich, in dem die Fürstengräber lagen. Der letzte Großherzog Ernst Ludwig hatte in seinem Letzten Willen verfügt, dass man ihn nicht in ein Mausoleum lege. Er wollte im Freien begraben sein. »In meinem Garten möchte ich begraben sein, die Sterne blicken auf mein Grab«, so hatte er es ausgedrückt. Seine Eltern lagen im Mausoleum unmittelbar neben den Gräbern. Die anderen Großherzöge mit ihren Familien im zweiten Mausoleum, etwas versetzt dahinter gelegen.
Neben den Gräbern von Ernst Ludwig und seiner Familie gab es ein besonderes Grab. Das von Elisabeth, Ernst Ludwigs Tochter aus dessen erster Ehe. Sie war im Alter von acht Jahren gestorben. Und der Bildhauer Ludwig Habich hatte ihr ein Denkmal gesetzt, in Form eines betenden Engels. Das war der Ort, an den sich Margot immer mal wieder zurückzog, wenn sie über die Dinge des Lebens nachdenken wollte.
Sie setzte sich auf eine der Bänke in der Nähe.
Der Weg hierher war ihr schwergefallen. Denn hier und jetzt würde sie ein Telefonat führen, dem sie nicht mehr ausweichen konnte. Mittags um zwei war die SMS von Rainer gekommen: »Sorry, Schatz, vor nächster Woche keine Chance. Telefon um 6 (deine Zeit)? Dein Rainer.«
Jetzt war es halb sechs.
Sie wählte seine Nummer. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Nein, noch ein kleines Stückchen höher. So, dass es körperlich wehtat.
»Hallo, mein Schatz, da bist du ja, schneller als ich. Du glaubst nicht, was wir heute entdeckt haben. Es gibt offensichtlich einen direkten Bezug dieses Plans hier zu …«
»Danke gut. Und dir?«
»Hallo Margot? Hast du mich verstanden? Wie ist der Empfang? Hast du das gehört, es gibt offensichtlich einen direkten Bezug dieses Plans hier zu …«
»Danke gut. Und dir?«
»Äh – was? Es ist eine Sensation! Heute haben wir herausgefunden …«
»Rainer. Stopp. Es interessiert mich nicht. Es interessiert mich einen Scheiß !« Das letzte Wort hatte sie geschrien. Eine Gruppe von jungen Japanern wandte die Blicke vom Mausoleum in ihre Richtung. »Sehen Sie hier ein typisches Beispiel einer völlig unbeherrschten Deutschen. Das ist vielleicht die Gelegenheit, ein wenig über die Mentalität dieses Volkes zu reden.« Margot wusste nicht, was die junge Fremdenführerin ihrer Gruppe jetzt via Mikro in die Ohrhörer flüsterte. Es war ihr egal.
»Margot – was ist denn mit dir los?«
»Doro ist abgehauen. Nach Afrika.«
»Sehr witzig.«
Zumindest war es ihr mit der Bemerkung gelungen, Rainers Enthusiasmus etwas zu dämpfen. »Doro ist in der Schule. Heute hat sie mir gemailt, dass sie die letzte Klausur gut bestanden hat. Sie ist schon ein tolles Mädchen.«
»Du armer Irrer«, sagte Margot. Sie und Rainer hatten sich nie beleidigt, nie den Pfad des respektvollen Umgangs verlassen. Doch Margot hatte den Eindruck, ihre heutigen Tränen hätten Schleusentore geöffnet, die besser geschlossen geblieben wären. Oder eben vielleicht doch nicht.
»Margot – was ist denn mit dir los?«
»Nichts. Außer, dass ich heute besonders klar sehe. Deine Tochter ist in Afrika. Und ich weiß nicht, wo genau. Sie hat sich mit ihrem Freund abgesetzt, ihr Zimmer untervermietet, die Ausbildung geschmissen.«
»Du spinnst – bist du krank? Margot, was, um Himmels willen, ist los mit dir? Was ist passiert?«
»Weißt du was, finde das mit deiner Tochter selbst raus. Sie ist deine Tochter. Und mit mir ist alles in Ordnung.«
»Das klingt aber nicht so. Ich werde Doro schreiben. Und das mit ›meiner Tochter‹ – das ist ja wohl ein bisschen unfair.«
»Nein. Es ist deine Tochter. Und sie ist nicht meine Tochter. Das sind biologische Fakten.«
»Margot, du bist doch wie eine Mutter für sie, ich bitte dich.«
»Nein. Ich bin der bewachte Parkplatz, auf den du deine Tochter abgeschoben hast. Sorry, aber jetzt ist sie davongefahren.«
»Meinst du nicht, dass du es dir jetzt ein wenig einfach machst?«
Margot musste auflachen. Ein bisschen hysterisch vielleicht. Die japanische Gruppe schaute wieder zu ihr
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