Engelsblut
Ding. »Ich habe lieber Computer gelernt – da sind die Stundenlöhne besser«, hatte sie ihm einmal erklärt.
Horndeich zog den Schlüsselbund aus der Tasche. Dann nahm er die Jacke in die Hand. »Bis morgen«, verabschiedete er sich.
Es klopfte an der Tür. »Kommissar Horndeich?«
»Ja«, sagte er und deutete auf Margot. »Und das ist meine Chefin. Margot Hesgart. Sie wird sich um Ihr Anliegen kümmern.«
Margot stand auf und reichte der Besucherin die Hand. Diese war etwa dreißig Jahre alt. Und ziemlich korpulent. Das kurze dunkle Haar wirkte ungekämmt. In ihrer Nase glitzerte ein Stein – ob Brilli oder Strass, war nicht zu sagen. Sie trug Jeans, eine helle Bluse und darüber einen dünnen Sommermantel.
»Meine Freundin Susanne Warka ist verschwunden.«
Als Frau Zupatke von der Zentrale von einer Vermisstenmeldung gesprochen hatte, hatte Horndeich spontan an einen Opa mit Alzheimer gedacht, der aus dem Heim verschwunden war. Er setzte sich wieder.
»Seit wann vermissen Sie sie?«
»Seit gestern. Sie wollte mich anrufen, was sie aber nicht getan hat. Auf meine Anrufe hat sie nicht reagiert, und heute ist sie nicht zur Arbeit gekommen.«
»Bitte, setzen Sie sich doch«, forderte Margot sie auf. Die Dame ließ sich auf einem Plastikstuhl neben Margots Schreibtisch nieder, der in seiner Orangefärbung wie ein Museumsstück aus den Siebzigern wirkte.
»Wie heißen Sie?«
»Sonja Leibnitz. Ich bin Susannes beste Freundin.«
»Lebt Ihre Freundin allein?«
»Nein, sie lebt mit ihrem Freund zusammen.«
»Und der vermisst sie nicht?«
»Nein. Ich habe angerufen, aber er sagt, Susanne habe gestern Nachmittag das Haus verlassen und sei noch nicht wiederaufgetaucht.«
Das ist dann doch etwas seltsam, fand Horndeich, und Margots Gesichtsausdruck verriet, dass sie Ähnliches dachte. »Kaffee?«, fragte er.
Sowohl Margot als auch Frau Leibnitz nickten. Das würde noch ein bisschen dauern. Er ging zur Kaffeemaschine.
Margot fragte weiter. »Und der Freund – er macht sich keine Sorgen?«
»Weiß ich nicht. Er klang sehr seltsam am Telefon. Als ob er unter Beruhigungsmitteln stehe. Ich mach mir echt Sorgen. Die beiden hatten mächtig Stress in den vergangenen Wochen.«
»Wie alt ist Ihre Freundin? Haben Sie ein Foto von ihr?«
»Ja, ich habe ein paar Bilder auf dem Handy. Sie ist genauso alt wie ich. Sechsundzwanzig.«
Horndeich und Margots Blicke trafen sich.
»Hat Ihre Freundin eine Tätowierung?«
Sonja Leibnitz musste sich umdrehen, um Horndeich anzusehen. Dann richtete sie ihren Blick wieder auf Margot. »Das habe ich befürchtet«, sagte sie tonlos. »Die Frau, die Sie heute Nacht auf den Schienen gefunden haben, nicht wahr?«
»Hat Ihre Freundin eine Tätowierung?«, wiederholte Margot die Frage.
»Ja. Einen Schmetterling. Auf dem linken Oberarm. Das ist die einzige Tätowierung, die sie hat.«
Margot rief die Bilddatei auf, die Hinrich ihnen geschickt hatte. Sie drehte den Monitor so, dass Frau Leibnitz das Foto sehen konnte. Die nickte nur stumm. »Der Typ hat sie umgebracht. Diese Sau!«
»Würden Sie sich bitte auch die Kleidungsstücke anschauen?«
Sonja Leibnitz’ Finger zitterten, als Margot das Bild mit dem Kleid zeigte. Wieder nickte die Freundin, auch als das Foto der Schuhe den Bildschirm ausfüllte.
»Ja, sie hatte so ein Kleid und auch solche Schuhe. Aber das hätte sie nie zusammen angezogen. Geht ja wohl gar nicht, oder?«
Als Margot diese Aussage nicht kommentierte, sprach Sonja Leibnitz weiter. »Sie müssen den Typen einkassieren. Reinhard hat sie umgebracht. Ich bin ganz sicher.«
»Frau Leibnitz, bitte geben Sie uns die Adresse von Ihrer Freundin. Wie war ihr Name gleich?«
»Susanne Warka. Und das Arschloch, das sie umgebracht hat, heißt Reinhard Zumbill. Riedeselstraße.«
Horndeich sah zu Margot hinüber. Seine Kollegin beherrschte, wenn es darauf ankam, das perfekte Pokerface. Doch er hatte in den Jahren gelernt, in ihrem Gesicht zu lesen: Ihre linke Augenbraue zuckte ganz, ganz leicht, wenn sie überrascht war. Und genau das war jetzt der Fall.
»Danke, Frau Leibnitz. Wir werden uns jetzt gleich zur Wohnung von Herrn Zumbill und Ihrer Freundin auf den Weg machen. Sollen wir Sie nach Hause bringen?«
»Nein, danke«, sagte Sonja Leibnitz. »Ich glaube, ich möchte jetzt lieber ein bisschen spazieren gehen. Nehmen Sie den Kerl gleich mit. Er hat ihr noch nie gutgetan mit seiner krankhaften Eifersucht.«
Margot erhob sich und verabschiedete Frau Leibnitz.
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