Engelsblut
entziffern.
Torben Wankel wurde immer wieder von einem Mann verdeckt, den Margot und Horndeich nur von hinten sehen konnten. Er stöpselte offensichtlich noch ein paar Kabel in einen Rechner. Dann drehte er sich um.
»Und ich bin Polizeihauptkommissar Ole Greven.« Zuerst schaute der Mann im grauen Rolli etwas mürrisch in die Kamera, was auch an den buschigen Augenbrauen liegen konnte, die ihm ein wenig das Aussehen einer Eule verliehen.
Diese hoben sich gleichzeitig: »Margot?«
Die erkannte Ole erst auf den zweiten Blick. Seit sie ihn während ihres Nordseeurlaubs vor vier Jahren kennengelernt hatte, hatte er sicher zehn Kilo zugenommen.
»Na, das ist ja ein Zufall! Wie geht es dir?« Ole Greven schien sich im Augenblick nicht bewusst zu sein oder sich nicht darum zu kümmern, dass er nicht allein mit Margot im virtuellen Raum war.«
»Gut, danke«, sagte Margot leicht errötend.
Horndeich grinste.
»Weißt du noch, unser Abend in den ›Schönen Aussichten‹? War lecker. Dazu der Blick auf den Hafen. Und du warst …«
»… satt«, vollendete Margot den Satz. Sie war Ole an dem einzigen Tag ihres Urlaubs begegnet, an dem es in Strippen gegossen hatte. Sie war mit einem Leihfahrrad unterwegs gewesen, und unmittelbar neben der Polizeiinspektion Leer hatte es angefangen zu schütten. Ole war gerade ins Gebäude gegangen, hatte sich der nassen Margot erbarmt und ihr einen Kaffee zubereitet. Abends waren sie in Leer zusammen essen gegangen. Und hatten geredet, bis der Laden zugemacht hatte. Ole hatte sie dann mit dem Wagen in ihr Hotel nach Ditzum gebracht. Nicht mehr, nicht weniger.
»Ich bin Kommissar Steffen Horndeich – meine Kollegin Margot Hesgart kennen Sie offensichtlich ja schon.«
Margots Handy gab Laut. Sie schaute aufs Display. Eine SMS. Von Nick. »Zeit heute Abend?« Sie schaltete das Handy stumm und steckte es weg.
»Tja, das ist also unser junger Held«, sagte Ole Greven und schlug dem heranwachsenden Mann freundschaftlich auf die Schulter. »Er hat uns wegen des Wagens angerufen. Und wir haben dann festgestellt, dass ihr den Wagen sucht.« Ole Greven hatte im Gegensatz zu seinem Kollegen einen leichten Hamburger Akzent.
»Was steht denn da auf Ihrem T-Shirt?«, fragte Horndeich.
Torben zog sein T-Shirt ein wenig in die Höhe. »Die Wahrheit«, sagte er knapp.
»Sorry, ich kann das nicht lesen«, erklärte Horndeich. So weit reichte die Qualität von Kamera und Bildschirm dann doch nicht.
»›Wäre die Welt eine Bank, hättet ihr sie längst gerettet‹«, las der friesische Kollege vor.
Margot hatte von der Occupy-Wall-Street-Bewegung gehört, jener Protestbewegung gegen einen menschenverachtenden Kapitalismus. Auf der Wall Street konnte sie sich den Protest noch erklären. In Leer wirkte er ein wenig befremdlich auf sie. Obwohl ihr der Spruch auf dem T-Shirt nicht unsympathisch war.
»Ist das nicht ein bisschen naiv?«, fragte Horndeich.
Torben zuckte nur mit den Schultern. Und grinste. So, als ob er noch ein oder zwei Trümpfe im Ärmel hätte.
»Ihnen ist der Bentley aufgefallen?«, fragte Margot, um das Gespräch auf das eigentliche Thema zurückzubringen.
»Ja. Ist er.«
»Und gestern haben Sie die Polizei benachrichtigt.«
»Ja.«
»Wieso gestern?«
»Nun, der Wagen stand schon eine ganze Weile da. Ich war mir nicht sicher, ob die Tussi nicht einfach hier Urlaub macht.«
»Die Tussi?«, wiederholte Horndeich ungläubig.
»Der junge Mann hat den Wagen schon vor einiger Zeit zum ersten Mal gesehen«, versuchte Ole Greven etwas Ordnung in die Befragung zu bringen. »Vielleicht können Sie den Kollegen in Darmstadt der Reihe nach erzählen, wie das mit dem Bentley war.«
»Klar.« Torben Wankel grinste. »Den Kollegen aus Darmstadt sowieso.«
»Sie kennen Darmstadt?«, fragte Horndeich.
»Nö. Nicht persönlich. Aber Georg Büchner kam ja von da.«
Horndeich schien ebenso überrascht wie Margot. Der Schriftsteller und Revolutionär war tatächlich einer der berühmtesten Söhne der Stadt.
»War klug, der Typ. Vielleicht wäre ein Georg-Büchner-
T-Shirt heute passender gewesen. Zum Beispiel mit der Aufschrift: ›Das Volk hasst die Genießenden wie ein Eunuch die Männer‹ oder, ein bisschen bekannter: ›Friede den Hütten! Krieg den Palästen!‹«
Ole klopfte dem jungen Mann nochmals auf die Schulter. »Wir wissen, dass du ein schlauer Kopf bist. Der Bentley, bitte.«
Margot sah Grevens schelmisches Grinsen.
»Also, der Bentley. Ich habe ihn zum ersten Mal
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