Engelsblut
festgesaugt und war sauber wie seine Gestalt. Nichts verfärbte ihn. Der Blick suchte nach jemandem. Der Blick gehörte nicht mehr Lena, sondern Samuel.
Grete lachte auf und fragte sich zugleich, wie man so dumm sein könne, sich dem hohen Herrn anheim geben zu wollen, und warum sich Lena mitsamt dem Wunder ihrer Geburt die Zähne an diesem ausbeißen wollte.
»Ei, hast dich gar nicht an ihm satt sehen können!«, spottete Grete. Ungelenkig sprach sie die Wahrheit aus. Lena hatte sich nicht nur satt gesehen, sie hatte sich den Blick mit Samuel voll gestopft.
Lena liebte Samuel.
Grete ahnte es, doch von Lena hätte sie so etwas nicht erwartet. Ein anderes armes Mädchen mochte so dumm sein, ihr Herz in die Gosse zu werfen und es verfaulen zu lassen. Solche Mädchen wussten nichts anderes anzufangen mit den Gesetzen, die es von Geburt an auf einen kälteren, härteren, dreckigeren Erdenplatz abgeschoben hatten. Bei Lena aber hatte sie erwartet, dass sie dagegen anschreien würde und so lange darauf starren, bis die Gesetze kraftlos wären.
Lena schrie nicht. Lenas Blick war randvoll mit dem schönen Maler.
Lena liebte Samuel.
Gar nicht mehr ungeheuerlich schienen Grete Lenas Augen nun, was hieß, dass man entweder gelogen hatte, als man sich die Legende von ihrer Geburt erzählte, oder aber, dass man ihr selbst jene Geschichte verschwiegen hatte und Lena gar nicht wusste, was sie anzurichten imstande war, dass sie die Macht ihres Schreiens so wenig kannte wie die Macht ihres Blicks.
Bedauern befiel Grete – und Erleichterung. Sie selbst, so entschied sie, würde ihr die Wahrheit ganz gewiss nicht verraten, warum sollte sie es tun, warum sich solchen Gefahren aussetzen?
Lena wusch sich weiter und hörte gar nicht mehr auf damit. In der späten Nacht saß sie da und bestaunte ihre gereinigten Füße im Mondlicht. Sie begann Dreck zu fürchten und Sauberkeit zu ersehnen. Da Samuel das Sauberste war, das es jemals in ihrem Leben gegeben hatte, war er ihr Mann.
So einfach lass ich mich nicht verjagen – schon gar nicht von einem versoffenen Alten!
Kaum hat er bekundet, was er von Samuel Alt hält, will er mir das Tor zuschlagen, an das ich so lange gehämmert hab. Doch ich bin keiner, der sich das bieten lässt! Hab den Fuß darin, noch ehe er’s verschließen kann – und da ich mich dieserart so hartnäckig zeige wie er, muss er sich’s wohl oder übel gefallen lassen.
Nun gut, erklärt er schließlich grimmig und nach stummem Zweikampf, allerdings sollt ich nicht glauben, dass ich von ihm etwas zu hören bekäme über Samuel Alt. Aber wo ich nun mal hier sei und wo es auch nichts Besseres zu tun gäbe in dem Regen, so möge ich seinetwegen die Gräfin sprechen. Jene sei gewiss nicht erfreuter als er und wolle noch weniger mit Samuel Alt zu tun haben, aber immerhin lebe sie sehr einsam, sodass ihr manchen Tags Gesellschaft recht käme...
Er grummelt vor sich hin, beklagt sich weintrunken über den Gutshof und dass es nicht gut sei, wenn ihn ein Weib bewirtschafte. Widerwillig lässt er mich hinter sich hertraben – und das so lange, bis ich vor der Gräfin von Altenbach-Wolfsberg stehe, welche mit Vornamen Veronika heißt.
Das ist das Letzte, was der Alte mir über sie verrät. Danach bleibt er schweigend neben uns stehen und lässt mich die Frau mustern.
Ganz offensichtlich ist sie es, die den Hof verkommen lässt. Weniger offensichtlich ist, warum sie das tut. Wer sie nicht kennt, mag meinen, sie sei entweder faul oder unfähig oder hat nicht gelernt zu wirtschaften. Ich aber habe den Eindruck, dass mehr dahinter stecken muss.
Zuerst halte ich sie für ein verkrustetes Weib, das nicht nur erstarrt, sondern von innen her ausgetrocknet ist, ja, das in gleicher Weise zerbröselt, wie es der Gutshof tut. Doch kaum habe ich dieses Urteil gefasst und erwarte von ihr nichts anderes als Trockenheit, so tut sie den Mund auf und spricht mit einer Wut, die flüssiger und jünger und überhitzter nicht sein könnte. Aus allen Ecken ihres mürben Körpers windet sich erfrischende Bösartigkeit und entlarvt Gräfin Veronika als eine, die hasst, ohne zu verzeihen.
Welcher Verbrechen sie die Welt beschuldigt, lässt sich nicht genau sagen; fest steht, dass sie den Kräften, die in ihrem gedrungenen Leib hausen, nur eine beschränkte Aufgabe lässt: Sie dürfen der Bosheit dienen, nichts anderem.
Sei’s drum. Ich nenne Samuels Namen. Es stellt sich heraus, dass sie mich nicht leiden kann. Ich wiederhole mein
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