Engelsblut
Begehren, das letzte Bild zu sehen, das er malte. Da stellt sich auch heraus, dass sie mit diesem Namen nichts als Zorn verbindet.
Kein gutes Wort mag über den Toten fallen.
»Sie waren des Teufels!«, poltert Veronika hassend los. »Sie waren allesamt des Teufels! Das habe ich ihnen auch ins Gesicht gesagt! Mit dem bösen Blick haben sie mich verhext! Mich unfruchtbar gemacht! Geh Er nur herum in den Dörfern, jeder wird’s Ihm sagen! Samuel und die Seinen waren verflucht!«
Es mag erstaunen, aber in gewisser Weise bin ich der zänkischen Alten zugetan. Sie scheint ehrlich. Da ist kein Kokettieren mit dem Leben. Ihres ist vollends misslungen – und das gibt sie mit jeder Geste zu. Weniger gefällt mir, dass alle anderen daran schuld sein sollten – und am schlimmsten ist, dass Aberglaube ins Spiel kommt.
»Ruhig, ruhig«, versuche ich sie zu fassen. »Ich möchte nicht wissen, wie Samuel Alt sein Leben zubrachte. War’ gar kein Gutes, wenn seine Geschichte sein Werk besudeln täte!
Und jenes – mit Verlaub, Frau Gräfin – jenes ist als großartig und einzigartig zu bewerten nach dem, was vorliegt! So ist es denn berechtigt, nach seinem letzten Bild zu fragen...«
Sie spricht weiter, ohne sich für mich zu interessieren.
»Sie aber muss ihn lieben!«, faselt sie hämisch. »Sie aber muss ihn lieben!«
Ihre Augen starren wie irr geworden.
»Wer?«, entfährt es mir, wiewohl ich’s gar nicht wissen will.
Eben noch bösartig und schadenfroh, scheint Gräfin Veronika jäh tief enttäuscht und randvoll mit einem Kummer, der ohne mein Wollen auch mich überkommt, mein Gemüt bezwingt, sich nicht erklären, aber umso heftiger erfahren lässt. Ihr Leben ist vergällt, und für einen Augenblick pfropft sie dessen bitteren Geschmack auch meinem auf.
»Wer?«, wiederhole ich hastig, um sie abzulenken.
»Sie muss ihn lieben«, wiederholt sie lediglich. »Lena muss ihn lieben. Sonst wär’ kein Heil für seine Seele zu finden. Sie hat ihm das ihrige vermacht. Und ich bewache sie.«
Mir fällt der Ärger des versoffenen Alten ein, dass Samuel Alt in geweihter Erde begraben wurde. Wiewohl ich nicht tiefer dringen will, reime ich ihn mir mit Gräfin Veronikas Worten zusammen.
»Hat Samuel sich umgebracht?«, höre ich mich unfreiwillig fragen.
Sie kichert. »Nein«, sagt sie und ist nicht länger traurig. »Nein, er malte sein letztes Bild, nach dem Ihr sucht und von dem es besser wäre, niemand würde es jemals wieder zu Gesicht bekommen. Und dann hat man ihn getötet.«
»Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heil’gen Wert vergnüge,
Dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.«
EDUARD MÖRIKE
VIERTER TAG
Es ist zu erzählen, wie Marthe um Samuel buhlt,
jener die ersten Blutbilder malt und Baron Lothar
ein Feuer entfacht
Nachdem Lena Samuel erwählt hatte und ihn liebte, fiel er auch anderen Frauen auf.
In der ganzen Umgebung begannen Jung und Alt um ihn zu tuscheln, seine Schönheit zu preisen, seine Eleganz zu loben, sein einsames, zurückgezogenes Dasein zu bedauern. Manch eine, so erzählte man sich, wurde toll bei seinem Anblick, versuchte seinen Blick auf sich zu zerren und verhielt sich dabei gegen jede Sitte. Als der Graf, hoffend, dies würde den absonderlichen Stiefsohn zähmen, auf das heftige Begehr um ihn verwies und ihm ein Eheweib schmackhaft machen wollte, schüttelte jener die Schultern und wusste nicht, was davon zu meinen war.
Der Graf, nicht mundtot wie sonst, ging daran, ihm lachend auf die Schultern zu klopfen. »So ein Weib mag dich lieben und dir das Bett warm halten!«, raunte er ihm zu.
Samuel wich zurück. »Menschen können nicht lieben. Ich male Engel«, sagte er – und erst jetzt fiel es dem Grafen wieder ein, was der Sohn seiner Mutter angetan, dass man mit ihm nicht zu reden, sondern ihn zu fürchten hatte, und sein Zuspruch erlahmte.
Später dachte er sich freilich auch, dass ein gutes Geschäft mit Samuels Bildern zu machen sein müsste, wenn allein seine Gestalt so viele Weiber reizte. Er überlegte, eine der Besucherinnen auf den Dachboden zu führen, wo er Samuels Bilder gesammelt hatte. Doch stets wurde er zurückgehalten von der Angst, dass man dabei auch jenes entdecken könnte, das Samuel dereinst von ihm gezeichnet hatte.
Lena wusste nichts von den anderen Frauen. Sie hielt sich von Samuel fern, mied seine Gegenwart und glotzte nur manches Mal hinterher, wenn er mit der Kutsche
Weitere Kostenlose Bücher