Engelsblut
tragen.
»Ich male Euch nicht«, wiederholte Samuel indessen, da sie nicht ging. Sie betrachtete eine locker dahingeworfene Skizze und konnte den Blick nicht davon lösen – nicht weil jene ihr gefiel, sondern sie überraschte und befremdete. Dies aber war ihr Metier, auch wenn alles andere hier im Raum entmutigte.
»Aber ich sehe doch, dass Ihr malt!«, bestand sie und zwang sich zum Bleiben. »Warum könnt Ihr nicht mich malen?«
»Weil ich der Menschen Wesen überdrüssig bin«, erklärte Samuel stur. »Weil ich es nicht länger erforschen will. Weil ich mich den Engeln geweiht habe.«
Über Wochen hatte er sein Gemach nicht verlassen, war steif vom vielen Stehen und dürr, weil er zu essen vergessen hatte. Erreicht hatte er sein Ziel jedoch noch nicht. Es gelang ihm nicht, einen Engel zu malen, der so wahrhaftig war wie seine Menschenbilder. Die fernen Geschöpfe der Lüfte ließen sich nicht festhalten und bloßstellen, sondern widersetzten sich ihm, tänzelten durch die Luft, hechelten ihm davon. Sie lebten nicht. Sie atmeten nicht.
»Ach«, entfuhr es Marthe. Verlegen lugte sie an seiner Malerei vorbei zu ihm. »So kann ich nichts für Euch tun?«
Ihre Sturheit schien ihn zu bewegen. Kurz gab er auf, sich ihr blind zu stellen wie allen anderen Menschen, studierte nebensächlich, aber sorgfältig ihr Gesicht, suchte darin nach etwas, das ihm hilfreich sein könnte und woraus sich der Ausdruck eines Engels pressen ließe. Er fand Langeweile, ein wenig Verzweiflung, den schalen Vorgeschmack auf ein Dasein, das sie bekämpfte, um nicht später darin festzustecken, das sie mit Neuem voll stopfte, auf dass es derart gesättigt nicht auch noch nach ihr verlangte.
»Nun«, erklärte Samuel, weiterhin ihr Gesicht belauernd. Er stöberte es auf, zerpflückte es, suchte es zu entwirren. Er fand wenig, raffte dieses zusammen und entzog ihr Wesen schließlich den Formen, denen es einverleibt war. »Nun«, wiederholte er, und dann ging er daran, nüchtern zu benennen, was Baroness Marthe zutiefst erschreckte, was sie über Tage hinweg nicht mehr in Ruhe lassen sollte und was ihr in Erinnerung bleiben würde bis ans Lebensende.
Nachdem er es ausgesprochen hatte, starrte sie ihn mit aufgerissenen Augen an, verfiel in ein wehleidiges Lachen und erklärte ihn hilflos zum Narren.
Wenn sie ihm helfen wolle, meinte Samuel mit gleichmütiger Stimme, dann solle sie sich zur Ader lassen und ihm ihr Blut zum Malen geben. Es möge vielleicht ein Leichteres sein, den Engeln Leben einzuhauchen, wenn er die Farben mit der Menschen kostbarem Saft und ihrem Beweis der Zuneigung mische. Dies sei, wofür sie taugen könne.
Als Marthe aufhörte zu lachen und zu schimpfen, entglitt ihr neuer Federhut den zitternden, schweißnassen Händen.
»Das ist widerlich!«, stieß sie hervor. »Und abartig! Und gemein! Wie könnt Ihr wagen, so etwas auch nur zu denken!«
Er zuckte nur die Schultern und verstand ihre Entrüstung nicht. Sein Anliegen war ihm kein weiteres Wort wert.
»Ihr solltet schnellstens zusehen, von Eurem Wahnsinn Heilung zu erfahren!«, hieb sie auf ihn ein. »Wie könnt Ihr meinen, eine ehrenhafte Dame wie ich würde auch nur mit dem Gedanken spielen... «
Hastig beugte sie sich nach ihrem Federhut, stürmte aus Samuels Gemach und senkte ihr Gesicht unter den gaffenden Menschen, die ihr Herauskommen belauerten.
Am Hofe unten wartete sie nicht ab, bis ihr jemand aufs Pferd half, sondern bestieg es selbst energisch. Sie ritt so schnell von dannen, dass die Hufe tiefe Spuren in den erdigen Boden schlugen.
Lena sah ihr gleichmütig nach. Während Marthe sich bei Samuel aufgehalten hatte, war sie im Hof auf der Stelle verharrt. »Du kommst wieder!«, stellte sie ohne Aufregung fest.
Marthe war in den nächsten Tagen erschüttert. Die Schwester drängte und fragte, was sie so beklommen stimme. Sie konnte nicht antworten, nicht zugeben, dass der von ihr gewählte Mann ein Verrückter war. Aus der Ferne besehen war er ihr nah gewesen. In dieser Nähe angekommen, stieß er sie ab.
Marthe war am selben Tag wie Samuel geboren, jedoch nicht im Kuhmist, sondern im Kindbett, worin ihre Mutter gestorben war. Der Vater überließ sie und die Geschwister einer Tante, erwartete von dieser die Erziehung seiner Kinder und setzte so auf eine Frau, die in Feindschaft lebte. Diese galt nicht den Menschen. Marthes Tante war humorig, klein, ein wenig taub und leidenschaftlich hinter gezuckerten Veilchen her. Sie weigerte sich allerdings,
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