Engelsblut
ersten Sommers seine einstmals bleichen Wangen. Auch wurden sie fülliger, weil er regelmäßig nicht nur das übliche trockene Brot aß, sondern auch Rippchen und Braten, und dazu sogar ein Glas Apfelwein trank.
Philipp – einer der Mitstreiter, um dessen Gesellschaft Samuel sich bemühte, wollte er auch den Ruf des Einzelgängers nie vollständig aufgeben – knüpfte ihnen Kontakte zu den Fürstenhöfen von Hessen, Nassau und Baden. Dort wurde er zu Beginn des zweiten Cronberger Jahrs selbst vorstellig, trug elegante Kleider und seine schwarzen Locken nach hinten gebunden, gab sich bescheiden als Porträtist aus, als hätte er sich nie davon losgesagt, und wurde von mancher Fürstentochter dem dicklichen Hofmaler vorgezogen. Ungeziemend fand man deren Begehren, sich von ihm malen zu lassen, brachte Samuel Alt doch weder Ruf noch Stellung mit, die ihn empfohlen hätten. Doch wiewohl man ihm und den anderen Cronbergern nicht gestatten wollte, ein längerfristiges Auskommen zu erwirtschaften – welches Samuel auch gar nicht brauchte, er lebte gut von Andreas’ Geld –, so galt es doch als eine erlaubte Modetorheit, zumindest ein Bild von dem ansehnlichen, geheimnisvollen Künstler fertigen zu lassen.
Was herauskam, war gemäßigter als einst. Samuel schupfte nur nachlässig in der Menschen Wesen. Trat er als einer von mehreren auf, so fügte er sich den Vorgaben der Gruppe.
Zuletzt tat er’s so sehr, dass man ihn darauf ansprach. Ein gewisser Max, der sich früher begeistert hatte, wie roh und entblößend Samuel die einfachen Menschen auf Bilder bannte, verstand die plötzliche Höflichkeit seines Malens nicht. Er stellte die Frage, warum er keine Engel mehr schuf und auch nicht mehr bestrebt war, seine Farben mit Blut zu mischen.
Samuel starrte ihn gedankenverloren an, als fiele beides ihm jetzt erst auf und als sei er ein anderer Mensch geworden, der sich an früheres Bestreben nur unscharf erinnern konnte. Lange suchte er nach einer Antwort, die erklären mochte, warum er nach Grothusens Fortgang ein Leben ohne Davor und Danach führte, warum er sich von einer Gemeinschaft, die er nie gesucht hatte, ruhig stellen ließ und – mehr durch Zufall denn durch Absicht – in ein Dasein glitt, das seine frühere Verachtung alles Menschlichen nicht kannte.
»Meine Zeit ist noch nicht gekommen«, antwortete er schließlich. »Ich werde wieder Engel malen – aber erst später.«
Einstweilen zog er es vor, Bilder zu schaffen, die den Menschen freundlich waren, und verzichtete sogar auf den Anspruch, ausschließlich an den eigenen Werken zu arbeiten. Er malte gemeinsam mit anderen, setzte seine Menschen in fertige Landschaften und fügte Gesichter ein, wo andere vorgaben, wie sie blicken müssten. Philipp und Max gehörten zu jenen, mit denen er sich manche Leinwand teilte. Schließlich Caspar, welcher stumm war, wie es hieß, weil er noch nie ein Wort gesprochen hatte. Man wusste nicht, ob der Name, mit dem er gerufen wurde, der richtige war. Aber da er sich nicht vorgestellt hatte, als er nach Cronberg gekommen war, nannte man ihn nach der Statue des großen Grafen von Cronberg, die auf dem Alten Friedhof errichtet war. An Caspars Seite ging ein Hund, von dem man gleichfalls nicht wusste, wie er hieß, was freilich auch nicht notwendig war, denn er gehorchte den stummen Gesten seines Herrn mehr als sämtlichen Rufen.
Einmal hatte Samuel keine Menschen gemalt, sondern das schwarze Gesicht von Caspars Hund. Caspar lächelte verträumt und dankbar, und Samuel scheute den fremden Körper nicht, sondern lehnte sich an den stummen Künstler und lächelte zurück. Er zeigte zum ersten Mal in den drei Jahren, dass er nicht zufällig glücklich war, sondern um seine Zufriedenheit wusste.
Diese Zufriedenheit hielt den ganzen Sommer an, bis der August zur Neige ging und die Hitze ein letztes Mal drückend über ihren Häuptern hing. So schwer lag sie auf Cronberg, dass es manche von ihnen in die Auen von Main oder Nidda zog, wo sich im kühlenden, wassernahen Schatten besser malen ließ.
War Samuel unter ihnen, so folgte auch Andreas – Samuels Vetter und Samuels Schatten, an dessen stummes Hiersein sich jedermann gewöhnt hatte. Meist mied er die anderen und lag für sich unter einem Baum, jedoch mit zufriedenem Gesicht und so anspruchslos, wie er Samuel stets begleitet hatte – zuerst durch die Welt, schließlich nach Cronberg. Dass Samuel ein Zuhause gefunden hatte, begrüßte Andreas und tat das Seine dazu,
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