Engelsblut
stiehlst!«, befahl sie streng. »Wen sollt ich fassen und halten können, wenn nicht dich für ihn?«
»Aber er darf kein Sittenloser werden! Er darf sich nicht wider die Natur verhalten!«
»Trink und wasch dich! Du bleibst!«
Sie beugte sich über ihn, zog ihm die Jacke aus und fuhr über die heiße Haut seines Rückens. Er fühlte, wie er abkühlte, wie seine Backen die Röte verloren – sein Widerstand freilich bröckelte immer noch nicht. Kaum machten sich ihre Hände nicht länger an ihm zu schaffen, blieb er nicht hocken, sondern stand wortlos auf und versuchte, von ihr wegzuhasten.
Lena erlaubte es ihm nicht. Andreas war noch nicht bis zur Tür gelangt, als er von ihrem kurzen, schrillen Schrei gebremst wurde. Er ging ihm durch Mark und Bein, schmerzte tiefer in der Seele als Samuels Menschenliebe und ließ seinen schmächtigen Körper kampflos zu Boden gehen. Dort hielt er sich verzweifelt die Hände vor die Ohren.
»Du bleibst!«, wiederholte Lena fest.
Er hatte nie davon gehört, dass man ihrem Schrei nachsagte, er könne den Weltenlauf unterbrechen – aber ihr Befehl war unmissverständlich und sein Gehorsam unausweichlich.
»Gegen dich komme ich nicht an!«, ergab er sich flennend und verbarg sich in ihrem Schoß. »Aber ich werde dafür sorgen, dass Samuel sich mir nie wieder ohne Kleidung zeigt! Samuel soll sich schämen, wenn er nackt vor mir steht! Er soll Menschen hassen und Engel malen!«
Der Lauf seiner Tage änderte sich nicht. Andreas blieb Samuels treuer und stiller Gefährte.
Des Nachts aber verließ er dessen Leben und rückte die verschlampten Gesetze desselbigen wieder gerade. Heimlich schlich er jeden Abend aus dem Gasthaus Zum grünen Wald fort, worin sie seit drei Jahren eingemietet waren, wanderte unter der sternenklaren Nacht nach Frankfurt und suchte nach einem Erleben, womit er Samuels Nacktheit verhindern konnte.
Lena ahnte, dass er nicht in seinem Bett geschlafen hatte, wenn er müde kam und sich frühmorgens an sie lehnte. Sie war geneigt zu fragen, was ihn triebe. Da er sich aber schweigsam gab, begnügte sie sich damit, ihm Entschlossenheit zu leihen.
Er nahm sie gerne und setzte sein nächtliches Wandern fort. Im Adler sah man ihn kaum noch, aber er wurde dort nicht vermisst, und niemand kommentierte es, wenn er am Morgen zerzaust und abgerissen von der Stadt zurückkehrte und sich schmutziger als früher zeigte – am allerwenigsten Samuel.
Jener lebte den September über glücklich. Dann, als der Sommer sich neigte, erklärte sich Andreas mit den offensten Worten, die er je zu Samuel gesprochen hatte.
Erschöpft schlich er im Morgengrauen an das Bett des Vetters und beobachtete den Schlafenden. Früher hatte er sich selten in das Zimmer des Bewunderten gewagt. Nun setzte er sich neben ihn, breitete sich aus und nahm sich das Recht darauf so lange, bis Samuel erwachte. Noch ehe sich jener augenreibend aufrichten konnte, neigte sich Andreas vor und drückte ihn mit allem Gewicht, das ihm zur Verfügung stand, zurück auf sein Kissen. Dann ließ er seinen Kopf auf die Brust des Liegenden sinken, griff nach Samuels Händen und streichelte sie behutsam.
Samuel schien sich zu versteifen – aber er wehrte sich nicht, sondern ertrug den schweren Leib, der da auf seinem ruhte.
»Was tust du denn?«, fragte er schlaftrunken und sank noch tiefer in sein Kissen.
Ein raues Seufzen entrang sich Andreas’ Kehle. »So sehr also hast du dich an die Menschen gewöhnt, dass du mich nicht zurückstößt?«, fragte er trostlos und hörte auf, des anderen Hände zu streicheln. »Lässt mich gewähren, anstatt mich anzubrüllen, dass ich dich nicht anfassen dürfte?«
Enttäuscht richtete er sich auf, und als er’s tat, blieb auch Samuel nicht länger liegen.
»Was willst du mir sagen?«, fragte er – nunmehr nicht mehr müde, sondern unbehaglich.
Andreas aber antwortete nicht. Stattdessen begann er sich wortlos zu entkleiden und ließ Stück für Stück auf den Boden fallen, bis er nackt stand.
»Sieh mich an«, sagte Andreas, und seine raunende Stimme verriet nicht nur kleinlaute Enttäuschung, sondern Begierde, »sieh mich an. Ich habe Unsittliches getrieben. Ich habe mich von einem Mann nehmen lassen wie ein Weib.«
In seinem Gesicht breiteten sich Schmerz, Ekel und Trauer aus. Trotzdem bekundete er entschlossen: »Und es hat mir große Lust bereitet.«
Es dauerte Augenblicke, bis Samuel seine Worte verstand – dann aber zuckte er zusammen und wurde schamrot. Noch
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