Engelsblut
ehe er aus dem Bett springen konnte, war der nackte Andreas an seiner Seite, drückte ihn – noch energischer, noch gewichtiger als vorhin – erneut zurück und packte seine Hand.
»Wovon redest du?«, fauchte Samuel in die Enge getrieben. »Lass gefälligst meine Hand los!«
Andreas lächelte ob der Forderung bitter, aber ließ die Hand nicht los. Nackt hielt er Samuel gepackt, auf dass jener zuhören musste, erzählte dem widerstrebend Lauschenden von der zurückliegenden Nacht und von dem fremden Mann, der kein Gesicht und keinen Namen hatte, nur ein mächtiges Geschlecht, das ihn, Andreas, durchbohrt habe. Vor jenem habe er auf dem Boden gekniet. Er habe gewimmert von der Rohheit des anderen, aber am Ende habe er an ihn, Samuel, gedacht, und er habe, noch immer gebückt, den eigenen Bauch mit Samen genässt. An den schwitzenden Leib des anderen geschmiegt, sei er eingeschlafen. Man könne an ihm den fremden Geruch noch wahrnehmen.
»Viel lieber hätte ich dich halten und küssen und liebkosen wollen«, bekannte Andreas leise, »viel lieber dich.«
Er neigte sich vor, eben dies zu tun. Er bot sich Samuel nicht nur nackt dar, sondern berührte ihn mit der bloßen Haut.
Samuel glühte. Sich aufbäumend versuchte er sich loszureißen, aber wagte nicht, mit dem Nackten zu rangeln, aus Angst, dessen Körper noch deutlicher zu fühlen. Andreas duckte sich geschickt und sprach in einem fort. Er sprach davon, wie entblößt er sich gefühlt hatte, als er seine Hosen gelöst und sich vom anderen weggedreht hatte. Er sprach, dass jener geschnauft und geröhrt habe wie ein brünstiges Tier und dass er zuletzt eingestimmt habe.
»Hör auf!«, zischte Samuel. »Hör auf! Was geht es mich an, was du treibst!«
Andreas hörte nicht auf. Er redete sich an der Nacht ab. »Es geht dich etwas an«, sagte er. »Denn du bist es, den ich begehre! Nur weil ich’s nicht durfte, habe ich mir einen Leib gesucht für deinen, und für Augenblicke, als ich die Augen fest geschlossen hielt, mochte ich mir sagen, dass ich dich besäße.«
»Du Lügner!«, brüllte Samuel. »Was willst du mit solchem Falschzeugnis erreichen? Wie sollt ich dir glauben, dass du dich gegen die Sitten verhieltest? Du warst stets ein Feigling, der sich ob der eigenen Wollust schier zu Tode geschämt hat! «
Andreas redete und redete, und wenn er die Geschichte beendet hatte, begann er sie von vorne. Zuletzt weinte er, und weinend sagte er: »Ja, ich bin feige. Aber dennoch liebe ich dich, Samuel! Ich liebe dich, ich begehre dich, ich wünschte, dein Körper würde mir gehören! Ich möchte dich halten und fassen, mit meiner Zunge kosten, mit meinen Lippen an dir saugen!«
Samuels Stimme erschöpfte sich. »Hau bloß ab!«, zischte er heiser. »Hau bloß ab, du widerwärtiger Hurensohn! Liegst bei einem Fremden und redest mir von Liebe? Erschreckst mich mit deinem Zeugnis und sagst zugleich, du hättest es getan, um mich zu erobern? Treib, was du willst, aber Liebe ist das nicht!«
Andreas blieb hocken wie ein Stein. Er ließ sich nicht wegrollen.
»Doch«, sagte er blass und übermüdet. »Doch – das ist Liebe: Das ist die Liebe der Menschen, und die Liebe der Menschen ist besitzgierig, schmutzig und lasterhaft. Die Liebe der Menschen stinkt und gleicht dem Trieb der Tiere. Die Liebe der Menschen ist nicht rein und wahrhaftig, sondern bloß dreistes Verlangen! Und das weißt du auch, Samuel, das weißt du! Du hast dereinst beschlossen, die Menschen zu hassen, und du hattest recht darin, denn die Menschen sind wie ich. Magst es vergessen haben, aber ich erinnere dich daran, und ich rate dir: Hüte dich, Samuel, vor den Kreaturen, die schwitzen und stinken, wenn sie lieben, hüte dich vor mir! Male wieder Engel, denn alles was menschlich ist, ist nicht, wie Engel sind!«
Samuel erhob sich, um ihn zu schlagen, aber er ließ die Hände sinken, weil sie ihn nutzlos deuchten, um den anderen abzuwehren. Er fühlte sich entblößt und beleidigt.
»Verschwinde endlich und lass mich in Ruhe!«, rief Samuel. »Ich will dich nicht sehen!«
Andreas hatte wieder zu schwitzen begonnen, aber er unterließ es, sich die Stirne abzutupfen. »Ich weiß«, murmelte er schwach. »Du musst mich auch nicht sehen – weder mich noch irgendjemanden sonst. Hast du nicht gesagt, du wolltest dich gegenüber der Menschen Wesen blind stellen, anstatt es zu erforschen? Und hast du nicht vielerlei Gründe, solches zu tun? Magst hier in Cronberg zwar dem Irrtum erliegen, es
Weitere Kostenlose Bücher