Engelsblut
auch der Gedanke, dass ihnen sein verbanntes Dasein unendlich schwer fiel, versöhnte ihn mit der Einsamkeit. Wenn er sich vor Augen hielt, dass er nicht alleine daran litt, setzte sie ihm weniger zu.
Er ergötzte sich daran, wie sie kleinlaut und regungslos hockten, mischte später seine Farben mit Blut und malte Engel, von denen er dachte, dass es die schönsten seien, die er je gemalt hatte. Sie flogen, weil sie dazu gezwungen waren. Keinen Schritt konnten sie gehen, ohne dass es schmerzte, als würden sie auf Messer treten. Samuel befreite sie von dem Schmerz und hetzte sie hoch in den Himmel, wo es ruhig und klanglos war wie bei ihm.
Andreas und Lena hingegen verzweifelten.
Sie ahnten nicht, dass Samuel sie heimlich begaffte, sondern mussten Tag für Tag damit fertig werden, dass sie nicht zu ihm durften. Seine Gestalt und sein Gesicht wurden matt in ihrer Erinnerung, indessen sie vor der verschlossenen Kammer hockten. Sie sprachen aus Furcht, eine seiner Regungen zu überhören, kaum ein Wort und verharrten so unbewegt, wie Samuel lebte. Erst später gewahrten sie, dass es kein zu belauschendes Leben gab , dass nicht einmal ein Atemzug durch die geschlossene Tür drang.
Drei Monate ertrugen sie die Totenstille, dann brach Andreas zusammen. Er heulte verzweifelt auf und packte Lena am Arm. Unwirsch machte sie sich los, voller Verachtung, dass er sich erneut als schwach erwies.
»Er streift das Leben ab wie alte Kleidung!«, unterbrach Andreas die bleierne Stille. »Auf seine Weise zeigt er sich wieder nackt und läuft davon! Er ist nicht mehr einzuholen!«
Lena befahl ihm zu verstummen. Er aber weigerte sich, der Sprache und der Geräusche weiterhin zu entsagen, und heulte auch dann noch, als sie ihn fest an den Haaren packte und zu sich hochzog. Die Knöchel ihrer Finger wurden weiß vor Anstrengung und Zorn.
»Hör auf zu jammern!«, herrschte sie ihn an und vergaß, dass sie nicht laut werden wollte. »Willst nicht einsehen, dass dies Simon Grothusens Werk ist? Er will uns demütigen und dort treffen, wo es am meisten schmerzt. Diese Kanaille! Wie ich ihn hasse!«
Ihr Zorn war durchdringender und lebendiger als der Trotz, mit dem sie vor Samuels Kammer ausgeharrt hatte. »Er versucht, uns Samuel zu nehmen, aber es soll ihm nicht gelingen! Er wird nicht stärker sein als unsere Liebe! Dieser elende Kretin!«
Andreas duckte sich.
»Lena«, stammelte er und schmiegte sich an ihren harten Körper.
»Plärr nicht meinen Namen!«, herrschte sie ihn an. »Wir wollen Samuel nicht weniger geweiht sein, ganz gleich, wie oft wir ihn zu sehen bekommen! Es wird dem Doktor Grothusen nicht gelingen, mich zu zerstören! Soll er nur selbst daran zugrunde gehen – ich aber nicht! «
Sie schüttelte die Strenge ab und lehnte sich vor, um Andreas an sich zu pressen. Ihre harten, ruckartigen Bewegungen wurden geschmeidiger. Vorsichtig legte sie den Kopf auf seine Schultern und begann ihn zu wärmen – wie damals in der Nacht, da sie bei Samuel gelegen und jener ihr die Hand entzogen hatte.
»Soll Grothusen nur versuchen, es mit mir aufzunehmen«, beschwor sie, »soll er mich zermürben und quälen. Ich liebe Samuel.«
Sie rutschte noch dichter an Andreas heran und schloss ihn ein zwischen ihren Armen, ihrem Kopf, ihrem Schoß. Unmöglich, sich ihr zu entziehen, unmöglich, die Flucht zu wagen, wenn sie es nicht erlaubte. Andreas gedachte des kurzen, schrillen Schreis, mit dem sie ihn seinerzeit in Cronberg aufgehalten und zu Fall gebracht hatte, und ergab sich ihr, anstatt sich erneut im sinnlosen Widerstand zu erproben. Ihre Umarmung vertrieb seine Furcht. Ihre Liebe roch wie seine. Ihr Schweiß war salzig wie der, der auf ihm klebte.
»Ich liebe Samuel«, wiederholte sie eindringlich und befehlend.
Andreas stützte sich an ihrem Rückrat. Er legte seine Hände um ihren Hals. Er erlaubte, dass sie sich geschmeidig auf seinen Schoß hockte.
»Ja«, sagte er, »ich liebe ihn auch.«
Niemand von der Gemeinschaft sah sie so verbunden. Des Tags versuchten sie zu vermeiden, ihre Nähe zu erkennen zu geben. Des Nachts aber, wenn sie aus Samuels Zimmer verstoßen waren, bekundeten sie ihre Liebe zu ihm und widersagten der von ihm erwählten Einsamkeit, indem sie sich gegenseitig hatten. Stark war ihre Schicksalsgemeinschaft, nachdem Samuel sie verstoßen hatte. Sie beschworen die einende Liebe, berührten sich gegenseitig an Samuels statt und überhörten, wenn jener die Staffelei verließ und sie durch den schmalen
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