Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
Vom Netzwerk:
Melancholie zu entledigen und zu vergessen, dass das stumme Dasein, das er sich ertrotzt hatte, ihm manchmal zusetzte und ihn quälte.
    Später wartete er auf die Nacht, unendlich müde und zugleich ungeduldig – denn nun, zu ausgewählter dunkler Stunde, durften einige der Künstler zu ihm kommen. Wenn sie mit ihm das Bild bestaunten, das er eben malte, eigene Werke zeigten und erklärten, dass sich sein Opfer lohnte – nie wären seine Engel so lebendig, so anmutig, so wunderschön gewesen –, so ahnten sie nicht, dass Samuel ihre Gesellschaft und ihr Lob nicht nur nachlässig gewährte, sondern heiß ersehnte.
    Bartholomé Vernez, einem der eifrigsten Schüler, geschah es eines Tages, dass seine Augen eine Träne freigaben, als er Samuels neues Bild zu Gesicht bekam. Von da an vermuteten die Schüler, dass der Meister sich mit dessen Werk am eingehendsten beschäftigte und an jenen Ratschläge und Lob verteilte, der sich am bewegtesten gab. Manch einer erprobte, wie man ein sanftes Beben des Körpers, einen mitreißenden Ausruf und nässende Augen vorführen könne, um Samuels Achtsamkeit auf sich zu ziehen – und tatsächlich belohnte er dieses Benehmen, indem er sich manchmal vorneigte, seine Finger ausstreckte und dem Schüler salzige Tränen von der Wange strich. Er ließ sich von dem Schauspiel, das er früher als Lügengespinst entlarvt hätte, verführen und harrte solcher Gesten nicht minder gierig als die Schüler, auf dass das jetzige einsame Leben bestätigt würde und nicht zum Fluch geriete.
    Nicht nur von seinen Schülern erwartete und ersehnte er Huldigung. Auch von Grothusen wollte er wissen, ob seine Bilder besser geworden waren.
    Jener führte seine neuen, seidenen, rot schimmernden Gewänder vor, die er sich für viel Geld hatte schneidern lassen, rauchte eine Zigarre, die dicker war als früher, und berichtete beglückt, dass der Handel mit den Bildern nicht Gewinn bringender vonstatten gehen könne.
    »Es heißt«, erzählte er eines Tages, »dass in einer Wiener Kunstgalerie ein heftiger Streit zwischen zwei Käufern ausgebrochen ist, der fast darin mündete, dass sie sich geschlagen haben.«
    »Denkst du tatsächlich, meine Engel seien vollkommener geworden, seit ich von den Menschen getrennt bin?«, fragte Samuel drängend und vergaß, sich wie früher beherrscht und hochmütig zu gebärden. »Denkst du, dass keiner mehr wagt, sich jemals wieder meinen Bildern zu verweigern?«
    Kurz war Grothusen verführt, Samuels Verdienst herunterzuspielen, vom eigenen Verkaufstalent zu prahlen und solcherart den alten Wettstreit wieder aufzunehmen. Dann fiel ihm ein, dass es sein Gutes hatte, wenn Samuel sich dem Trug hingab, die Einsamkeit möge den Wert der Bilder steigern. Nur so konnte Grothusen vermeiden, von ihm durchlöchert und in seiner Liebe zu Lena bloßgestellt zu werden. Nur so konnte er sich für ihre Zurückweisung rächen und ein Fünkchen Macht über sie erlangen.
    »Wir taten recht, dich von den Menschen abzusondern«, bestätigte Grothusen darum ernsthaft und stimmte Samuel damit zufrieden. »Kaum einen mag’s geben, der nicht von deinen Bildern bewegt ist, der sich ihnen entziehen könnte. Es steht dir und deinem Talent gut an, allein zu hausen. Und damit wir dieser Tatsache gerecht werden, solltest du noch seltener Besuch empfangen. Kommen jetzt deine Schüler täglich zu dir, mag’s ihnen künftig nur einmal in der Woche gestattet sein.«
    Vom Zuspruch bestochen und freiwillig blind für Grothusens wahre Absichten, nahm Samuel hin, dass sein Leben noch einsamer wurde. Einige Wochen lang deuchte ihn die Stille ein erträgliches Opfer, das er gerne darbrachte, ja, das er rühmte, weil es ihm beim Malen half. Dann jedoch begann sie ihn erneut aufzureiben wie die Einsamkeit, dröhnte unerträglich in seinen Ohren, trieb ihn schließlich nicht mehr sein Gefängnis auf und ab, sondern zur Türe.
    Durch den Türspalt lugte er in die Freiheit, die er selbst aufgegeben hatte – und auf Lena und Andreas, die vor seiner Kammer klebten, um ihn nicht gänzlich aus ihrem Leben zu verlieren.
    Er beobachtete sie, durchschaute sie, nagelte sie mit seinen Blicken fest.
    Zunächst war es ihm peinlich, nach ihrer Nähe zu verlangen. Später weidete er sich daran, dass ihre Gefühle erstarrt und verstummt waren, anstatt ihm zuzusetzen, dass sie nicht mehr aufdringlich und Neid erregend laut, sondern tonlos in seinen Ohren widerhallten. Nicht nur Grothusens Lob seiner jüngsten Bilder, sondern

Weitere Kostenlose Bücher