Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
Zeitgenossen kennen gelernt. Die Vorstellung zwang Alan noch immer einen Rest Ehrfurcht ab.
„Dein Krieg mit Katherina interessiert mich nicht.“
„Wer redet von Krieg?“ Mordechai legte ein Lesezeichen zwischen die Seiten und klappte die Buchdeckel zu. Alan konnte den Titel nicht entziffern. Es war Latein, verblasste Buchstaben auf Leder. „Wie lief deine Vernissage?“
„Du weißt davon?“
„Nur weil ich nicht dort war, heißt es nicht, dass ich nicht davon weiß.“
„Wir wurden unterbrochen, weil eine Leiche vom Dach auf die Straße stürzte.“ Alan setzte sich in einen der Stühle. „Ein Obdachloser, Nummer elf glaube ich, mit tiefen Bisswunden an der Kehle. In der Pathologie werden sie feststellen, dass er genau wie die anderen eine beträchtliche Menge Blut verloren hat. Zuviel eigentlich, gemessen an den Wunden.“
Mordechai hob eine Braue, schwieg aber.
„Was sind das für Wesen, deine Gäste? Sie wissen nichts von der zivilisierten Welt.“
„Sie leben, wie sie es gelernt haben.“
„Du meinst, wie Ungeheuer? Wann legst du sie endlich an die Kette?“
„Ich respektiere die Gesetze der Gastfreundschaft.“
„Hör auf!“ Alan hielt den aufsteigenden Groll nicht zurück. „Du weißt, dass das die Grenzen der Gastfreundschaft weit überschreitet. Sie führen sich auf wie Tiere. Wenn sie wenigstens versuchen würden, die Leichen zu verbergen.Aber nein, sie töten ganz offen. Es ist ihnen gleichgültig, ob sie Aufruhr erregen oder nicht. Weil sie wissen, dass du sie schützt.“
Mordechais Züge verhärteten sich. „Willst du mir vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe?“
„Keine Sorge.“ Alan stieß den Atem aus. „Das könnte ich nicht. Ich appelliere nur an deine Vernunft.“
„Ausgerechnet du redest von Vernunft?“ Ein Muskel zuckte an Mordechais Kinn. „Der Krieger, der sich weigert, ein Krieger zu sein. Was hast du verändert in dieser Welt, seit du das Schwert gegen einen Pinsel getauscht hast? Hast du ein einziges Schicksal zum Besseren gewandelt?“
„Wir reden hier aber nicht von mir“, knurrte Alan.
„Vielleicht sollten wir das?“
Alan schwieg für ein paar Herzschläge. Er starrte hinaus auf die dunstige Linie, an der Himmel und Meer zusammenflossen. „Zwei Männer haben mich angegriffen“, sagte er schließlich. „Gestern Nacht.“ Er berührte die Narbe an seinem Hals. „Sie wollten mich töten. Sie waren vom Blut.“
Mordechais Augen wurden schmal.
„Sie haben Russisch gesprochen“, fügte Alan hinzu.
„Unmöglich“, stieß Mordechai hervor.
„Bist du sicher, dass du für deine Gäste die Hand ins Feuer legen kannst?“
Abrupt stand Mordechai auf. „Das werden wir herausfinden.“
Sie fuhren mit dem Aufzug hinunter in den achten Stock und betraten einen Gang mit hohen Wänden. Teppichboden dämpfte ihre Schritte. Mordechai blieb vor einer Tür am Ende des Korridors stehen und berührte den Chipleser neben dem Schloss mit einem Ring. Summend glitten die Riegel zurück.
Eine Wand aus Monitoren tauchte den dahinterliegenden Raum in bläuliches Licht. Vor einer Konsole mit Tastaturen und leuchtenden Displays saßen zwei Männer und unterhielten sich leise. Sie unterbrachen ihr Gespräch, als Alan und Mordechai eintraten.
„Apartment 812“, sagte Mordechai. „Jemand zu Hause?“
Einer der beiden Männer, ein stämmiger Kahlkopf, tippte einen Befehl. Auf dem großen Bildschirm in der Mitte der Wand blendete sich ein Bild aus einer Überwachungskamera ein. Blaustichig und verzerrt zeigte es einen Raum mit einer Sitzgruppe und einer Küchenecke.
„Sie sind im Wohnzimmer“, sagte er. „Alle beide. Hier“, er deutete mit dem Finger auf einen Mann, der rauchend vor dem Fenster stand, „das ist Arkadin.“
„Du überwachst deine Gäste?“, fragte Alan.
Mordechai blickte ihn an. „Erkennst du sie wieder?“
Alan trat dichter an den Bildschirm. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er Arkadins Züge. Der zweite Mann saß auf dem Sofa und blätterte in einer Zeitschrift, das Gesicht im Halbprofil. Sein Haar war von unnatürlich heller Farbe. Alan erinnerte sich, dass einer seiner beiden Angreifer ebenfalls blond gewesen war. Dennoch verspürte er eine vage Enttäuschung, weil er erkannte, dass er die Frage nicht beantworten konnte. Er wusste nicht, ob er gegen diese Männer gekämpft hatte. Er war sich einfach nicht sicher. Nicht sicher genug.
Als sie in den Garten zurückkehrten, hatte Naveen Kaffee und Gebäck auf dem
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